"Wenn ich meine Biografie zusammenfassen müsste", sinnierte der schon hochbetagte Shimon Peres einmal in einem Interview, "würde ich sagen: Ich bin von Dimona nach Oslo gegangen." Der Name des Wüstenstädtchens Dimona ist das Codewort für das Kernwaffenarsenal, das Israel offiziell gar nicht hat, und Oslo symbolisiert die in dieser Stadt geführten Geheimverhandlungen, die das Fundament für einen Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern gelegt haben.

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Peres im März 2013 bei einer Pressekonferenz im Europäischen Parlament in Straßburg.
Foto: REUTERS / Jean-Marc Loos

Titan aus der Gründergeneration

Die beiden Projekte sind im kollektiven Bewusstsein der Israelis mit Shimon Peres verbunden und stellen sein Vermächtnis dar. Der letzte der Titanen aus Israels Gründergeneration war in seinen frühen Jahren wie alle seine Mitstreiter ein "Falke", als es für den belagerten jungen Staat vordringlich um Bewaffnung und Überlebenssicherung ging. Dass er im Alter zu einer "Taube" mutierte, die beharrlich die Annäherung an die arabischen Nachbarn in einem "Neuen Nahen Osten" predigte, trug ihm internationales Renommee ein. Seine harmonische Amtszeit als Staatspräsident, die er mit 90 Jahren beendete, machte vergessen, dass seine Karriere über die längsten Strecken von Zank und Niederlagen geprägt gewesen war. Am Mittwochmorgen ist Shimon Peres in in der Nähe von Tel Aviv im Alter von 93 Jahren verstorben.

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PLO-Chef Yasser Arafat, der damalige israelische Außenminister Shimon Peres und Premier Yitzhak Rabin (von links nach rechst) bei der Nobelpreisverleihung in Oslo im Dezember 1994.
Foto: REUTERS/Jerry Lampen

Verwandte von Nazis ermordet

Mit seiner Mutter und seinem Bruder war der 11-jährige Szymon Perski 1934 dem Vater ins britische Mandatsgebiet Palästina nachgereist. Alle Verwandten, die in seinem damals zu Polen gehörenden Geburtsort Wiszniew zurückblieben, wurden von den Nazis ermordet – dass der geliebte Großvater, ein angesehener Rabbiner, mit vielen anderen Juden in einer hölzernen Synagoge verbrannt wurde, hat Peres mehrmals bei offiziellen Auftritten erwähnt, etwa auch 2010 in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag.

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Peres im Deutschen Bundestag 2010.
Foto: REUTERS/Thomas Peter/Files

Seine spätere Weltläufigkeit war dem kleinen Einwanderer, der den polnischen Akzent sein Leben lang nicht mehr ganz loswurde, nicht in die Wiege gelegt: "Ich hatte nicht das Privileg, jahrelang auf Universitäten zu sitzen, ich habe im Kibutz im Kuhstall gearbeitet, bis zum Alter von 26 Jahren habe ich kein Wort Englisch gesprochen." Trotzdem war Peres schon mit 29 Generaldirektor des Verteidigungsministeriums. Der rührige junge Funktionär, der sich mit 16 der Arbeiterpartei angeschlossen hatte, war vom legendären Staatsgründer David Ben-Gurion "entdeckt" worden und blieb gut zwei Jahrzehnte lang dessen Vertrauter. Es war Peres, der trotz der Skepsis der Armeeführung in diskreter Kooperation mit Frankreich den Aufbau einer Rüstungs-, Luftfahrt- und Nuklearindustrie ankurbelte, die Israels Ressourcen zu überfordern schienen.

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US-Präsident Barack Obama hängt 2012 Peres die US-Friedensmedaille um.
Foto: REUTERS/Jason Reed/Files

48 Jahre im Parlament

1959 wurde Peres erstmals ins Parlament gewählt, wo er mit einer Dienstspanne von 48 Jahren einen Rekord aufstellen sollte. In verschiedenen Koalitionsregierungen übernahm er verschiedene Ressorts, insbesondere war er Außen-, Verteidigungs- und Finanzminister. Manche sehen in ihm auch einen Mitverantwortlichen für die Siedlungsbewegung im Westjordanland, die zu einer Zeit anlief, als die Arbeiterpartei dominant war. "Ich dachte, dass wir einige Siedlungen um Jerusalem gründen müssen, um es zu stärken", so Peres im Rückblick. Eine gehässige Rivalität "verband" ihn mit dem fast gleichaltrigen Parteigenossen Yitzhak Rabin, der Peres einen "unermüdlichen Unterminierer" nannte.

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Nelson Mandela und Peres auf einem Archivbild aus dem Jahr 1996.
Foto: REUTERS/Stringer/Files

Serien von internen Abstimmungsniederlagen gegen Rabin und andere sowie sein wiederholtes Scheitern bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen trugen Peres das Image eines ewigen Verlierers ein. Unvergesslich bleibt sein versteinertes Gesicht, als er 1997 (im Jahr nach der hauchdünnen Niederlage gegen Benjamin Netanjahu bei einer Direktwahl des Premiers) bei einer Parteiversammlung vom Podium rief: "Peres ist ein 'Loser'? Habe ich verloren?". Das war als rhetorische Frage gemeint, aber aus dem Publikum kam eine vielstimmiges "Ja!" zurück.

Ohne Wahlsieg wurde Peres zwei Mal Premierminister. 1984 waren die Wahlen unentschieden ausgegangen, und mit dem damaligen Likud-Chef Yitzhak Schamir einigte sich Peres auf eine "Rotation" im Sessel des Regierungschefs. In den zwei kurzen Jahren, die ihm zustanden, war Peres ein effizienter Premier, der Israels fast vollständigen Abzug aus dem Libanon vollzog und die Hyperinflation in den Griff bekam. In der Nacht des 4. November 1995 war Peres dann der selbstverständliche Nachfolger, nachdem Premier Yitzhak Rabin von einem rechtsextremen jüdischen Studenten erschossen worden war. In den Jahren davor hatten die beiden großen Alten, die einander auch äußerlich immer mehr glichen, doch noch als Partner agiert. Rabin war erst nachträglich informiert worden, nachdem Peres als Außenminister jene Kontakte mit der PLO genehmigt hatte, die im September 1993 zum Oslo-Abkommen über eine Palästinenserautonomie führten. Im Jahr darauf nahm Peres dafür gemeinsam mit Rabin und PLO-Chef Yassir Arafat den Friedensnobelpreis entgegen.

Bild aus dem September 1993: Peres unterzeichnet das Osloer Abkommen über die Autonomie der Palästinenser-Gebiete. Die Zeremonie fand im Weißen Haus in Washington statt – hinter Peres von links nach rechts: Israels damaliger Präsident Yitzhak Rabin, US-Präsident Bill Clinton und PLO-Vorsitzender Yassir Arafat.
Foto: AFP PHOTO / J. DAVID AKE

Untergegangenes Friedenskonzept

Doch das Friedenskonzept ging im Terror und in der Intifada unter, und mit ihm der Stern der Linken und von Peres. Es war ein Schock, als Peres 2005 die Wahl des Parteivorsitzenden gegen den unerfahrenen Gewerkschaftsboss Amir Peretz verlor. Noch größer war der Schock drei Wochen später, als Peres, die damals schon 82-jährige Symbolfigur der israelischen Sozialdemokratie, plötzlich zur neuen Kadima-Partei von Ariel Sharon überlief, der bis dahin der "Bulldozer" der israelischen Rechten gewesen war. Manche legten das als Sesselkleberei und übertriebenen persönlichen Ehrgeiz aus. Als Kandidat der Kadima erlebte Peres 2007 dann die späte Genugtuung, zum Staatspräsidenten gewählt zu werden. Mit seiner Altherreneleganz, seinem Esprit und einer geschickt eingehaltenen Ausgewogenheit erwies er sich als Idealbesetzung und wurde zum geliebten Großvater der Nation und respektierten internationalen Aushängeschild seines Landes. Es war freilich ein trauriges Sinnbild für das Scheitern seiner Vision, dass sein Abtritt im Sommer 2014 während eines Krieges erfolgte: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich in den letzten Tagen meiner Amtszeit wieder trauernde Familien besuchen würde", sagte Peres in seiner Abschiedsrede.

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Peres, Palästinenser-Präsident Abbas und Papst Franziskus (von links nach rechts) beim Händeschütteln im Vatikan 2014.
Foto: EPA/CLAUDIO PERI

Von Bitterkeit durchzogen waren auch die letzten Jahre seiner 1945 geschlossenen Ehe. Sonia Peres hatte für die Eitelkeiten und die Hektik des Politikerlebens wenig übrig und war fast nie in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen. Als Peres mit 83 Staatsoberhaupt wurde, weigerte sich seine Frau, in die Präsidentenresidenz in Jerusalem zu übersiedeln, und blieb in der Privatwohnung in Tel Aviv.

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"Sonia hat gemeint, ich soll in Pension gehen, aber ich weiß nicht, was man an einem freien Tag macht – ich habe mein ganzes Leben gearbeitet", sagte Peres. Auch der Tod wird sie nicht mehr zusammenbringen, denn Sonia Peres, die 2011 verstorben ist, wollte im Jugenddorf Ben-Schemen begraben werden, wo sie und ihr späterer Mann einander als 15-jährige erstmals begegnet waren. Shimon Peres wird auf dem Herzl-Berg in Jerusalem neben anderen Staatspräsidenten und Premierministern beigesetzt. (Ben Segenreich, 28.9.2016)