Frauen in Polen demonstrierten letzte Woche gegen das in erster Lesung beschlossene Abtreibungsverbot.

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STANDARD: In Polen könnte eine Abtreibung bald nur mehr möglich sein, wenn die Schwangerschaft das Leben der Frau bedroht. Vergangene Woche hat ein entsprechender Gesetzesvorschlag in erster Lesung das Parlament passiert. Welche Folgen hat so ein Gesetz, sollte es in Kraft treten?

Marquardt: Hier haben sich konservative und religiöse Gruppierungen in einer Bürgerinitiative starkgemacht. Wenn das Gesetz tatsächlich beschlossen wird, droht Frauen und ÄrztInnen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, eine Gefängnisstrafe. Auch gegen Frauen, die ein Kind während der Schwangerschaft ungewollt verlieren, also eine Fehlgeburt haben, soll die Justiz ermitteln, um zu prüfen, ob hier nicht ein illegaler Abbruch vorliegt. Gegebenenfalls würde ein Abbruch mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Auch Frauen, die vergewaltigt werden, hätten dann kein Recht mehr, einen Abbruch durchführen zu lassen. Trotz Verbots werden weiterhin Schwangerschaftsabbrüche stattfinden. Entweder müssen die Frauen erhöhte Reisekosten auf sich nehmen und dann auch die Kosten des Schwangerschaftsabbruchs im Ausland tragen. Das kann sich nur ein Bruchteil der Frauen leisten. Für die große Mehrheit der ungewollt Schwangeren ist dies nicht der Fall. Dies führt vermehrt zu illegalen Abbrüchen, die meistens unsicher sind und Komplikationen mit sich bringen. Frauen werden dadurch erpressbarer, können aus Angst vor Strafe keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen.

STANDARD: In Nicaragua, Chile, El Salvador, der Dominikanischen Republik und Malta herrscht ein Totalverbot der Abtreibung, das heißt, auch wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, gibt es keine legale Möglichkeit. Wie sieht die Situation weltweit aus?

Marquardt: Leider gibt es nicht jedes Jahr neue Zahlen. Ich kann die Zahlen von 2012 heranziehen, da gab es 80 Millionen ungewollte Schwangerschaften in Entwicklungsländern. Ungefähr bei der Hälfte entscheiden sich Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch. 50 Prozent aller Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, haben keinen sicheren Zugang zu Abtreibung. Laut der Gesundheitsorganisation der Vereinten Nationen, der WHO, kommt es jährlich zu 21,6 Millionen unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Davon sind schätzungsweise zu 40 Prozent Jugendliche und Heranwachsende betroffen. Laut WHO sterben jährlich weltweit 47.000 Frauen an den Folgen eines unsicheren Schwangerschaftsabbruchs. In einigen Entwicklungsländern sind zwei von drei Spitalbetten mit Frauen belegt, die Komplikationen hatten, bei denen der Schwangerschaftsabbruch verpfuscht wurde.

In vielen afrikanischen Ländern ist Abtreibung nur erlaubt, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. In asiatischen Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen meist legal sind, fehlt es oft an Mitteln. Frauen können sich eine legale Abtreibung oft nicht leisten. In Europa ist derzeit eine Stimmung gegen den Schwangerschaftsabbruch zu beobachten, etwa in Spanien. Auch in den USA wird es wahrscheinlich einige Personen geben, die den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump deshalb wählen, weil er den Zugang zum Abbruch verschärfen möchte. Auch in Österreich ist der Schwangerschaftsabbruch nicht legal, er ist straffrei – aber das sind zwei Paar Schuhe.

STANDARD: Österreich ist in Europa ein Ausnahmeland. Während in vielen europäischen Ländern, in denen Abtreibung legal ist, die Kosten übernommen werden, erscheint Abtreibung auf Krankenschein in Österreich beinahe als denkunmöglich. Warum ist das so?

Marquardt: Österreich ist ein katholisch geprägtes Land und ist hier in zweierlei Hinsicht speziell. Es gibt weder den Schwangerschaftsabbruch noch Verhütungsmittel – vor allem auch nicht für Jugendliche – auf Krankenschein. In Deutschland etwa bezahlt das die Krankenkasse. Das ist ein allgemeines Paradoxon, dass konservative Gruppierungen, die sich gegen Abtreibung starkmachen, sich gleichzeitig auch gegen sexuelle Bildung und gegen Verhütungsmittel einsetzen. Dabei ist gerade Prävention ein wichtiges Thema: Ungewollte Schwangerschaftsabbrüche können vermieden werden, indem man ungewollte Schwangerschaften vermeidet.

STANDARD: Die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung macht sich für Prävention stark.

Marquart: Ja, unser Fokus liegt auf Bildung von Anfang an. Wir setzen uns für sexuelle Bildung ab dem Kindergarten ein. Täglich halten wir Workshops in Schulklassen ab. Wir haben eine parlamentarische Gruppe und sind international vernetzt. Wir pochen sehr stark auf Prävention und bieten in Wien und Niederösterreich Beratungen an, mit speziellen Angeboten für Jugendliche. Es ist ganz klar, dass jeder Schwangerschaftsabbruch einer zu viel ist und dass man in sexuelle Bildung und Zugang zu Verhütungsmitteln investieren muss. Wenn es doch zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt und eine Frau sich zu einem Abbruch entscheidet, muss das Menschenrecht der Frau, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, gewahrt werden – das inkludiert den Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch. Ein Abbruch auf Krankenschein wäre durchaus wünschenswert. Gesetze sind nicht allein ausschlaggebend für den Zugang zu einem fachgerecht durchgeführten Abbruch. Viel hängt davon ab, wie ein Gesetz interpretiert und durchgesetzt wird. So auch in Österreich. In zwei Bundesländern, nämlich in Tirol und Vorarlberg, gibt es in öffentlichen Spitälern keinen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Selbst in Wien gibt es oft so lange Wartezeiten, dass Frauen in teurere Privatambulatorien gehen müssen.

STANDARD: Der 28. September ist globaler Aktionstag für den Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung. Auf wessen Initiative geht dieser internationale Tag zurück?

Marquardt: Frauenorganisationen in Lateinamerika und der Karibik haben vor 20 Jahren ihre Regierungen dazu aufgefordert, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren. Gleichzeitig ging es um den sicheren Zugang und den leistbaren Schwangerschaftsabbruch. Der 28. September gedenkt auch der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien. In Lateinamerika gilt der Tag außerdem als "Tag der freien Gebärmutter". Seit 2011 hat sich das Women's Global Network for Reproductive Rights der Bewegung angeschlossen, um sich weltweit für einen sicheren Zugang zu engagieren. Das diesjährige Motto ist "Abortion stories as diverse as shoes – step into our stories step in our shoes". Es geht darum, dass hinter jedem Schwangerschaftsabbruch eine Frau mit ihrer eigenen Geschichte steht und die Gründe sehr divers sind. Unter dem Hashtag #StepIntoOurShoes werden Informationen und Geschichten gesammelt.

STANDARD: Welche Beispiele für Kriminalisierung beziehungsweise Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gibt es?

Marquardt: Es gibt zwei sehr plakative Fallbeispiele, was passiert, wenn man Schwangerschaftsabbruch völlig kriminalisiert beziehungsweise legalisiert. Das war zum einen in Rumänien der Fall, wo 1966 während der Diktatur beschlossen wurde, den Schwangerschaftsabbruch und den Zugang zu Verhütungsmitteln zu verbieten. Ziel war die Erhöhung der Geburtenrate, die kurzfristig zwar in die Höhe ging, längerfristig aber gesunken ist. Damals wurde in Rumänien auch eine sogenannte Reproduktionspolizei eingeführt. Frauen mussten sich monatlich gynäkologischen Untersuchungen unterziehen. Infolgedessen hat sich aufgrund unsicherer illegaler Abtreibungen die Müttersterblichkeit verdoppelt. In Kanada hingegen hatte 1988 der Oberste Gerichtshof aufgrund einer Klage entschieden, dass das Schwangerschaftsabbruchsgesetz, wie es gegolten hat, nicht mit den Menschenrechten zu vereinbaren ist und hat es für ungültig erklärt. Seither ist der Schwangerschaftsabbruch in Kanada völlig entkriminalisiert und unterliegt keinen gesetzlichen Reglementierungen. Die Angst damals war groß, dass Frauen bis gegen Ende der Schwangerschaft diese abbrechen würden. Dem ist aber nicht so. 98 Prozent der Eingriffe passieren in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten. Zwei Prozent werden nach der 16. Woche, wegen schwerer Schäden des Fötus, vorgenommen. Trotz völliger Legalisierung sind hier die Zahlen im weltweiten Vergleich niedrig. Es ist wichtig, dass es sicheren, legalen und leistbaren Zugang zum Schwangerschaftsabbruch gibt. Dadurch werden gesundheitliche Risiken vermieden. Längerfristig führt ein legaler Zugang zum Abbruch zu einer Senkung der Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen – wenn dieser mit einer Politik der Prävention gekoppelt ist. (Christine Tragler, 28.9.2016)