September 2015, Flüchtlinge am Klagenfurter Bahnhof. Die meisten von ihnen fuhren weiter nach Deutschland. Wer hierblieb, wurde auf Quartiere in ganz Österreich aufgeteilt, wobei die Zahl der freien Plätze bei weitem nicht ausreichte. Das ist heute anders.

Am Anfang "war es ein Schock", sagt Franz Werdenich. Das Telefon klingelte, die brummige Stimme von Flüchtlingskoordinator Christian Konrad verkündete ihm, dem Bürgermeister der burgenländischen Gemeinde Potzneusiedl, dass er künftig 80 Asylwerber aufzunehmen hätte. So wurde die 560-Seelen-Gemeinde, die zuvor keinen einzigen Flüchtling einquartiert hatte, mit nun 14 Prozent mit einem Schlag zum Übererfüller der gesetzlichen Asylwerberquote von 1,5 Prozent der Einwohnerzahl. Auf dem Gelände einer früheren Raststation wurden Wohn-, Aufenthalts- und Sanitärcontainer aufgestellt.

Potzneusiedl war die erste Gemeinde, in der das sogenannte Durchgriffsrecht des Bundes angewendet wurde, das am 23. September 2015 im Nationalrat beschlossen wurde. Es ist ein eher unösterreichisches Instrument: Der Bund bestimmt, was in Ländern und Gemeinden passiert, ein Mitspracherecht gibt es – zumindest offiziell – nicht. Begründet wurde das mit der hohen Zahl an Asylwerbern und der Tatsache, dass trotz dieser hohen Nachfrage an Quartierplätzen in vielen Regionen kein Angebot geschaffen wurde. Seither wurde 14-mal vom Durchgriffsrecht Gebrauch gemacht, in zwei Gemeinden, Villach und Klagenfurt, sogar zweimal.

Leerstand als Reserve

Heute, ein Jahr nach Beschluss des Durchgriffsrechts, kann von Quartierknappheit keine Rede mehr sein. 8000 freie Plätze gibt es laut Innenministerium in Österreich. Trotzdem wurde erst kürzlich in Villach ein neues Durchgriffsrecht-Quartier eröffnet: In Bergheim bei Salzburg entstehen derzeit 450 weitere Plätze. "Das ist auch notwendig, weil wir es mit einer dynamischen Situation zu tun haben", sagt Ministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck. In Salzburg wird man ungeduldig: "Wir verstehen, dass man Reserven braucht", sagte Philipp Penetzdorfer, Sprecher von Integrationslandesrätin Martina Berthold (Grüne), dem STANDARD, "aber wir möchten Leerstand vermeiden."

Umso mehr, als derzeit viele Flüchtlinge ihren Asylbescheid erhalten und auf den ohnehin engen Wohnungsmarkt drängen. Das Land verhandle zurzeit mit dem Bund, inwieweit Reservequartiere zumindest vorübergehend als Startwohnungen genutzt werden können. Unklar ist jedoch, wie groß der Quartierpuffer sein soll, um für einen neuerlichen Anstieg an Flüchtlingsankünften gewappnet zu sein. Auch das Innenministerium weiß auf diese Frage keine Antwort. Nur so viel: Für eine Weile werde man nun ohne Durchgriffsrecht auskommen.

Skepsis wich der Praxis

Als das Durchgriffsrecht beschlossen wurde, war der Aufschrei in den Ländern groß, das rot-blau regierte Burgenland kündigte gar eine Volksbefragung an. Auch in Potzneusiedl war die Stimmung anfangs schlecht, sagt Werdenich. Anders heute: Diffuse Ängste hätten sich durch den Kontakt mit den Flüchtlingen aufgelöst, manche hätten ehrenamtlich Deutschkurse oder Freizeitaktivitäten angeboten. Die Jäger suchten vor dem Jagdausflug das Containerdorf auf, um den teils traumatisierten Flüchtlingen zu erklären, warum sie schießen.

"Jeder hat seinen Part geleistet", sagt Werdenich. Dass es Familien waren und nicht alleinstehende Jugendliche, die hier unterkamen, trug laut dem Bürgermeister zum Abschwellen der Ängste bei. Heute stehen die Container leer. Auch sie sind als Reserve gedacht. Mittlerweile haben zudem einige Private in der Region Quartiere geschaffen – ganz ohne Zwang. Wirtschaftliche Überlegungen dürften eine Rolle gespielt haben.

Das ist auch in Kärnten so. "Manche Bürgermeister sagen hinter vorgehaltener Hand: Wir sind ganz froh, dass wir die Flüchtlinge haben", sagt Andreas Schäfermeier, Sprecher von Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ). Denn letztlich sind es lokale Betriebe, in denen Flüchtlinge ihr bescheidenes Taschengeld ausgeben – "und einige Pensionen hätten ohne Flüchtlinge wohl schon zugesperrt". (Maria Sterkl, 27.9.2016)