Das Ultraleichtflugzeug Sea Watch Air durfte zweimal über dem Mittelmeer zum Einsatz kommen. Dann schritt das tunesische Militär ein.

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Der 27-jährige Ruben Neugebauer hat seine Fluglizenz für die Sea Watch Air erweitert.

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Wien – Ruben Neugebauer spricht von Deutschland aus. Auf der tunesischen Insel Djerba ist gerade nichts zu tun. Obwohl, Arbeit gäbe es genug, doch der 27-Jährige wäre dort zum Nichtstun verdammt. Neugebauer ist Pilot der Sea Watch Air, eines Ultraleichtflugzeugs, erworben, um Flüchtlingsboote im Mittelmeer aufzuspüren. Doch das Militär in Tunesien lässt das nicht zu. Wieso, das ist nicht ganz klar. "Vermutlich politische Motive", sagt der Deutsche am Telefon zum STANDARD.

Es ist eine unbefriedigende Situation, ohne Frage, schließlich wurde einiges in dieses Projekt investiert. Trotzdem wirkt Neugebauer gut gelaunt, optimistisch, motiviert: "Wir werden eine Lösung finden." Neugebauer ist seit den Anfängen von Sea Watch dabei, einer deutschen NGO, Ende 2014 gegründet, um gegen das Flüchtlingssterben im Mittelmeer anzukämpfen. Im Frühjahr 2015 stach man mit einem umgebauten Fischkutter, der Sea Watch 1, in See. Etwa 5.000 Menschen hätte man laut eigener Aussage im vergangenen Jahr das Leben gerettet.

Heuer wohl noch mehr Tote

Die Aufgabe ist heuer nicht kleiner geworden. 2015 ertranken laut UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) 3.771 Flüchtlinge im Mittelmeer, für heuer liegt die Schreckenszahl aktuell bei 3.210. Am Ende des Jahres wird mit einer neuen Rekordzahl gerechnet. Insgesamt sind laut UNHCR seit Jänner mehr als 300.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer gekommen – 2015 war es eine halbe Million.

Bei Sea Watch sind die Ressourcen kontinuierlich angewachsen, heuer kann man mit zwei Schiffen und zwei Schnellbooten schon von einer Flotte sprechen. Und dann kam ihnen noch eine andere Idee. "Das war am 27. August 2015, als wir auf hoher See fünf kleine Flüchtlingsboote entdeckten. Auf einem waren zwei Menschen schon tot, dehydriert", erzählt Neugebauer. Obwohl sie wenige Tage zuvor bereits in der Gegend waren, konnten sie die Boote nicht entdecken. "Du hast vom Schiff einfach einen begrenzten Überblick." Seitdem wurde daran gearbeitet, um aus der Luft Flüchtlingsboote schneller zu sichten. "Aber Luftfahrt ist teuer", sagt Neugebauer. Und Sea Watch eine rein durch Spenden finanzierte Hilfsorganisation.

Fluglizenz erweitert

Schließlich entschied man sich, für vergleichsweise günstige 42.000 Euro ein Ultraleichtflugzeug vom Typ Ikarus C42 zu kaufen, Neugebauer wurde zum Projektleiter von Sea Watch Air ernannt, weil er auch gleichzeitig als Pilot fungieren kann. "Ich bin schon vorher Motorgleitschirm geflogen und musste nur meine Fluglizenz erweitern." Ende Juni startete das zweisitzige Ultraleichtflugzeug von Deutschland nach Tunesien.

Von der Insel Djerba aus, so der Plan, sollte vor der Küste des nahen Libyen nach Flüchtlingsbooten gesucht werden. Vollgetankt kann der Flieger sieben Stunden in der Luft bleiben und 800 Kilometer zurücklegen. Der libysche Küstenort Sabratah, stark frequentierte Ablegestelle für Flüchtlinge, ist rund 200 Kilometer entfernt.

Tunesiens Militär funkt dazwischen

Die in Tunesien erforderlichen Dokumente wurden beschafft, Neugebauer absolvierte erfolgreich die ersten beiden Testausflüge, inklusive gesichteten Booten. Dann kam das tunesische Militär ins Spiel. "Plötzlich haben die noch eine Extragenehmigung gefordert, und als wir die hatten, noch eine und dann noch eine", sagt der Deutsche. Seit etwa drei Monaten darf die Sea Watch Air trotz zahlreicher Proteste nicht mehr in die Luft steigen. Der Grund wurde nicht genannt.

Notgedrungen wich man aus, auf Malta. "Das ist aber ein zu langer Weg für das Ultraleichtflugzeug, deshalb haben wir ein Charterflugzeug organisiert", erklärt Neugebauer. Sechs Flüge habe man damit absolviert, via Funk konnte man dabei Rettungsschiffe zu Flüchtlingsbooten hinlotsen.

Kritik an EU-Mission Sophia

Für das nächste Jahr plant man zweigleisig: In Tunesien lässt man nicht locker, auch versucht Sea Watch wieder Charterflugzeuge zu organisieren. Heuer habe man bislang etwa 15.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet, schätzt Neugebauer. Das jüngste Bootsunglück vor der Küste Ägyptens mit mehr als 160 Toten sieht er als eine Folge der EU-Militärmission Sophia vor der Küste Libyens: "Damit bekämpft man nicht Flucht, sondern verschiebt sie nur." Nämlich dorthin, wo kaum Rettungsschiffe unterwegs sind. Sea Watch will darauf reagieren und überlegt, verstärkt vor Ägypten aktiv zu werden.

Neugebauer wird auch im nächsten Jahr wieder im Mittelmeer mithelfen. "Wenn mich später jemand einmal fragt, was ich gemacht habe, als die EU tausende Menschen im Mittelmeer hat ertrinken lassen, will ich eine gute Antwort haben." Nebenbei studiert er, etwas, "was mir bei Sea Watch hilft": Katastrophemanagement. (Kim Son Hoang, 28.9.2016)