Von Investitionen in die Infrastruktur würden zukünftige Generationen profitieren, sagt Ökonom Achim Truger.

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STANDARD: Sie plädieren für die Einhaltung der "goldenen Investitionsregel" – was ist das?

Truger: Sie besagt, dass der Staat öffentliche Investitionen nicht nur über Kredite finanzieren darf, sondern das sogar tun soll. Das ist generationengerecht, denn wenn heute investiert wird, haben zukünftige Generationen einen höheren Wohlstand. Sie sollten deshalb auch an der Rückzahlung der Kredite beteiligt werden. Wird hingegen alles aus dem laufenden Budget bezahlt, trägt die heutige Generation alle Kosten. Und es ist zu befürchten, dass die Investitionen vernachlässigt werden.

STANDARD: Sind mehr öffentliche Investitionen denn wirklich die Lösung, besser als etwa eine wachstumsfördernde Steuerreform?

Truger: Wenn es darum geht, einen konjunkturellen Schub auszulösen, sind sie das Wichtigste. Alle neueren Studien zeigen, dass die Einnahmenseite kurzfristig weniger entscheidend ist als die Ausgabenseite. Lange war das vorherrschende Denken: Wirtschaftspolitik heißt Steuerpolitik. Und Steuerpolitik im Dienste von Wachstum und Beschäftigung heißt Steuern senken. Das war ein riesiger Fehler.

STANDARD: Viele sagen, dass die Wirtschaft in Ländern wie Deutschland oder Österreich nie mehr mit zwei oder drei Prozent pro Jahr wachsen wird.

Truger: Das sehe ich anders. Klar gibt es im Moment schwere Probleme. Aber wenn der Schub kommt, ist die Lage eine ganz andere. Das kann man am Beispiel Spanien sehen, das wieder mit zwei, drei Prozent wächst.

STANDARD: Für Befürworter eines Sparkurses zeigt Spanien genau das Gegenteil: dass Strukturreformen einen Umschwung bewirken.

Truger: Wenn man immer nur auf die lange Frist schaut, vergisst man schnell, dass es kurzfristig einen Anschub braucht, damit Unternehmer Vertrauen fassen. Es gibt immer mehr Studien der OECD und von anderen Unverdächtigen, die sagen: mittel- und langfristig Strukturreformen ja, aber in der Krise sind sie kontraproduktiv. Wenn ich im Abschwung den Kündigungsschutz aufhebe, werden Leute entlassen. Dann fällt deren Nachfrage aus, und die Krise verschärft sich noch zusätzlich. In Südeuropa wurden die öffentlichen Investitionen am dramatischsten zusammengekürzt. Als sie am Boden waren, siechte Spanien dahin. Seit sie erhöht wurden, geht es wieder besser. Immer mehr sehen das ein. Beim EU-Stabilitätspakt räumt man den Staaten jetzt mehr Spielraum ein, das haben die letzten Defizitverfahren gegen Spanien und Portugal gezeigt. Und der Druck auf Europa wird größer. Die USA sagen, dass mehr investiert werden muss, der IWF sagt es, die OECD und mittlerweile auch die EU-Kommission.

STANDARD: Welche Investitionen sind das, die so entscheidend sind?

Truger: Verkehrsinfrastruktur und Gebäude wären am schnellsten umsetzbar. Dann sind auch Bildungsausgaben extrem produktiv. Kosten für Lehrpersonal werden heute als staatliche Konsumausgabe gewertet. Man könnte sich auch überlegen, in Zukunft solche Ausgaben als Investition zu verbuchen. Aber auch alles, was unter den heutigen Investitionsbegriff fällt, wirft im Durchschnitt langfristig sehr hohe Renditen ab. Vor allem bei den derzeit extrem niedrigen oder sogar negativen Zinsen bleibt der Gesellschaft am Ende nach Abzahlung der Kredite noch Geld übrig.

STANDARD: In der Eurozone drängen Frankreich, Italien und auch Bundeskanzler Kern auf mehr kreditfinanziertes Wachstum. Heißt europäische Abstimmung hier, dass alle im gleichen Ausmaß investieren müssen, oder sollte zwischen finanzkräftigen Staaten wie Deutschland und den Krisenstaaten unterschieden werden?

Truger: Die Budgetpolitik ist nationale Kompetenz, die Staaten können das für sich entscheiden. Es ist nicht nötig, ein weiteres Programm auf EU-Ebene zu beschließen. Deutschland hat nicht nur budgetären Spielraum und kann allein durch seine Größe viel bewirken, sondern hat auch Bedarf an Investitionen.

STANDARD: Ein Abgehen vom defizitkritischen Kurs ist dort aber nicht absehbar.

Truger: Die Bereitschaft zu investieren steigt. Deutschland hat viele schlechte Erfahrungen mit dem Zustand der Infrastruktur. Spektakuläre Bauprojekte, die nicht fertig werden. Turnhallen, die verfallen, Brücken, die nicht saniert werden. Die Leute merken das.

STANDARD: Warum investieren die Unternehmer trotz rekordniedriger Zinsen so ungern?

Truger: Wenn man die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg hat, mit Bilanzkorrekturen und Umsatzeinbußen, und der gesamte Euroraum außeinanderzubrechen droht, ist das kein Klima, in dem man als Unternehmen gern investiert. Warum sollte ich Kapazitäten ausbauen, wenn ich nicht weiß, wo ich meine Produkte absetzen soll? Wenn es einen sichtbaren Aufschwung gibt, springen auch die privaten Investitionen an.

STANDARD: Viele Klein- und Mittelbetriebe beklagen, dass die Banken zu hohe Sicherheiten verlangen, Kredite immer schwieriger zu bekommen sind. Gibt es jetzt also die Kredite nicht oder werden sie einfach nicht nachgefragt von den Unternehmen?

Truger: Beides kann gleichzeitig der Fall sein. Wir erleben eine Politik des billigen Geldes, es sollte eigentlich genügend Kredite geben. Einige Unternehmen schwimmen in Liquidität und brauchen keine Kredite, weil sie nicht investieren wollen, andere bekommen keine Kredite weil die Banken extrem vorsichtig sind. (Simon Moser, 25.9.2016)