Christian Kern und die Angela Merkel beim Flüchtlingsgipfel in Wien.

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Kern wartet auf die Teilnehmer des Gipfels.

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Gruppenfoto. Alle da.

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Wien – Geladen hatte Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) die Staats- und Regierungschefs der von Griechenland bis nach Deutschlands führenden Balkanroute. Und gekommen sind sie am Samstag fast alle, nur aus Rumänien reiste lediglich Innenminister Dragos Tudorache an. Weit schmerzhafter war da eher, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker entgegen vieler Erwartungen kurzfristig sein Fernbleiben ankündigte und EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos statt ihm teilnahm. Ansonsten konnte Kern aus Brüssel noch EU-Ratspräsident Donald Tusk empfangen.

Am Nachmittag, nach Gruppenfototermin, Arbeitsessen und bei solchen Gipfeln eigentlich schon obligater Verspätung präsentierte Gastgeber Kern relativ kompakt die Ergebnisse, nicht ohne vorher zu betonen, dass das Treffen genutzt wurde, um endlich mal Klartext zu reden. Die wichtigsten Punkte: Der Schutz der EU-Außengrenzen soll verbessert werden, indem die Ressourcen der EU-Grenzschutzagentur Frontex aufgestockt werden – sie seien derzeit nicht ausreichend. Er könne sich auch eine Verstärkung des Einsatzes durch militärische Kräfte vorstellen, so Kern. Österreich habe hier gute Erfahrungen gemacht.

Afghanistan-Deal in "absehbarer Zeit"

Zudem soll sichergestellt werden, dass das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei hält, indem im offenen und daher strittigen Punkt der Visaliberalisierung Einigkeit erzielt wird. Griechenland soll unterstützt werden, um Asylverfahren rascher durchzuführen. Und schließlich sollen Rückführungsabkommen mit Ländern wie Ägypten, Niger oder Mali abgeschlossen werden. Bei Afghanistan, berichtete Kern, seien die Gespräche mit der EU bereits weit gediehen, er rechne mit einem Abschluss in "absehbarer Zeit".

Es gehe aber auch darum, dass Europa selbst "mit derselben Konsequenz" an der Umsetzung der EU-Türkei-Vereinbarung arbeite wie die Türkei. Kern erwähnte in diesem Zusammenhang das Problem, dass Griechenland derzeit keine Geflüchteten in die Türkei zurückschicke, obgleich "die Türkei von allen europäischen Staaten als sicheres Land für Rückführungen anerkannt" werde. Bei dem Treffen in Wien habe es diesbezüglich Einigung gegeben, Griechenland zu helfen, um die "Asylverfahren zu beschleunigen".

"Illusion, Balkanroute komplett schließen zu können"

Bezüglich Balkanroute meinte Kern, dass weiterhin zu viele Flüchtlinge über diesen Weg nach Europa gelangen – seit der Schließung im März kamen laut Kern 50.000 Flüchtlinge nach Deutschland und 18.000 nach Österreich. Doch, so der österreichische Bundeskanzler, sei es "eine Illusion, zu glauben, dass die Balkanroute komplett geschlossen werden kann". EU-Ratspräsident Tusk meinte hingegen noch vor Beginn des Gipfels: "Wir müssen praktisch und politisch sicherstellen, dass die Westbalkanroute für illegale Migration für immer geschlossen ist."

Den Flüchtlingsgipfel verlasse er trotzdem optimistisch, so Kern. Doch wenn Europa "an dieser Frage scheitert", "möglicherweise auch noch der Türkei-Deal kollabiert", dann stelle dies das Projekt der europäischen Einigung auf eine "massivste Belastungsprobe".

Bei einem eigenen Medientermin sagte Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel wenig später, dass sie Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Migration sehe. Im Vergleich zur Situation vor etwa einem Jahr sei sehr viel erreicht worden, so Merkel.

Deutschland nimmt monatlich hunderte Migranten auf

"Unser Ziel muss sein, die illegale Migration so weit wie möglich zu stoppen", so Merkel. Sie sicherte Griechenland und Italien weitere Hilfe in der Flüchtlingskrise zu. So werde Deutschland aus diesen Staaten mehrere hundert Migranten mit Bleiberecht pro Monat aufnehmen.

Die Rückführung von Menschen ohne Aussicht auf Asyl müsse verstärkt werden, betonte die Kanzlerin und forderte wie Kern rasch Rückführungsabkommen mit Staaten Nordafrikas sowie mit Afghanistan und Pakistan "Wir wollen insgesamt Illegalität bekämpfen und Legalität stärken", sagte Merkel. Merkel wie Kern räumten beide auch ein, bei der eigentlich beschlossenen Verteilung von anerkannten Flüchtlingen innerhalb der EU gebe es keine Fortschritte.

Orbàn lobt Kern

In einer eigenen einstündigen Pressekonferenz nach dem Gipfel hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbàn seinen österreichischen Amtskollegen ausführlich gelobt. Kern habe eine sehr offene Aussprache aller Beteiligten an der Balkanroute möglich gemacht, "nicht das übliche EU-Blabla", jeder habe gesagt, was für ihn wichtig sei. "Das braucht Mut, denn es ist klar, dass das ein Wespennest ist, in das man sticht", so Orbán. Österreich sei bestrebt, die alte Freundschaft wiederherzustellen. Diese Absicht wird nicht unerwidert bleiben", sagt er beim Termin in der ungarischen Botschaft in Wien.

Immer wieder tauchte in der Pressekonferenz von Viktor Orbán der Begriff der "Verteidigungslinie" auf. Was vor einem Jahr geschah, als eine Million Flüchtlinge illegal nach Norden durchmarschierten, dürfe sich nicht wiederholen. Laut dem ungarischen Premier habe dieser Flüchtlingsgipfel vereinbart, "ein Notfalldrehbuch zu gestalten". Wenn die EU ein paar hundert Grenzschützer schicke, sei dies bei weitem nicht ausreichend. Ungarn setze allein an der EU-Außengrenze zu Serbien 8000 Soldaten ein.

Es müssten also für die exponierten Staaten am Balkan, Bulgarien, Rumänien, Serbien, auch Italien und Griechenland viel mehr Geld und Personal aufgestellt werden. Die Partner im Norden müssten verstehen, dass Ungarn nur für den Grenzschutz 500 Millionen Euro aufgewendet habe, "auch das ist ein Beitrag zur europäischen Solidarität. Wir lassen nicht zu, dass die Schengenregeln gebrochen werden, dass die Menschen massenhaft Richtung Österreich und Deutschland weiterreisen", erklärte Orbán.

Lager für Millionen in Libyen

Er sei "überzeugt davon, dass die Asylverfahren außerhalb Europas abgewickelt werden müssen". Die EU müsse so rasch wie möglich ein Abkommen mit Ägypten abschließen, ähnlich dem der Türkei. Auch Libyen sei enorm wichtig, dort, ginge es nach Orbán, müsste die EU dafür sorgen, dass eine stabile politische Lage eintritt, und "große Lager für Millionen Menschen einrichten, die wir versorgen, eine Schutzzone an der Küste". Orban sagt voraus: "Wenn wir das nicht schaffen, können wir böse Überraschungen erleben." (red, APA, 24.9.2016)