Ein Scheinvater darf nach österreichischem Recht seine Unterhaltszahlungen für das vermeintlich eigene Kind rückwirkend bis zur dessen Geburt beim biologischen Vater zivilrechtlich einklagen.

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Es begann mit einer kurzen Affäre. Drei Monate lang traf sich der verheiratete Beamte B. mit einer anderen Frau. Dann wird die Geliebte schwanger. "Sie hat gesagt, ich sei der Vater. Ich habe gefragt: Bist du sicher?", erinnert er sich. Die Antwort war ein klares Ja. "Von der Zeit her hat auch alles gepasst", sagt B., der lieber anonym bleiben will. Dem Wiener kommen keine Zweifel. Er nimmt die Vaterschaft an. Zehn Jahre lang zahlt er regelmäßig und heimlich seine Alimente. Bis seine Ehefrau einen Zahlschein entdeckt.

"Darauf folgte das volle Programm", erzählt B. "Ich habe praktisch alles verloren: die Ehe, das Haus, einfach alles." B. baut sich ein neues Leben auf, heiratet auch wieder. "Meine zweite Frau hat aber von Anfang an gesagt, dass mein Kind nichts von mir hat." Der Kontakt zum Kind bleibt lose. Dennoch beschließt der Wiener, heimlich einen DNA-Test durchführen zu lassen. Das Ergebnis: "Ich war zu 99,9 Prozent nicht der Vater. Das trifft dich wie ein Keulenschlag", sagt er rückblickend.

Herr B. ist ein sogenannter Scheinvater. Als solcher darf er nach österreichischem Recht seine Unterhaltszahlungen für das vermeintlich eigene Kind rückwirkend bis zur dessen Geburt beim biologischen Vater zivilrechtlich einklagen. Selbst wenn der biologische Vater von der Mutter nie über die Existenz des Kindes informiert wurde, kann er zur Rückzahlung gezwungen werden. So kann auch ein One-Night-Stand Jahre später sehr teuer werden – ganz abgesehen von der immens hohen emotionalen Belastung für alle Beteiligten.

Einschränkung geplant

Deutschland, das derzeit noch eine ähnliche Rechtsprechung bei Scheinkindern hat, geht bald andere Wege. Das deutsche Justizministerium hat kürzlich einen Gesetzesentwurf vorgelegt, in dem eine Auskunftspflicht über den biologischen Vater durch die Mutter – mit Ausnahmen – enthalten ist. Deutsche Scheinväter sollen künftig auch nur zwei Jahre Unterhalt ab Klagseinbringung plus dem Unterhalt, der während des Prozesses anfällt, einfordern können. Eine Einschränkung, die es beispielsweise auch in den Niederlanden (fünf Jahre) gibt.

Während in Deutschland teilweise heftig über diese neue Gesetzgebung diskutiert wird, herrscht hierzulande Schweigen. Derzeit gebe es dazu keine Reformarbeiten, heißt es im Justizministerium. Dabei mehren sich Stimmen, die ein Überdenken der momentanen Gesetzgebung fordern.

Thomas Schoditsch, karenzierter Richter und als Assistenzprofessor am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen der Uni Graz tätig, findet, der deutsche Entwurf könne "Vorbildwirkung" für Österreich haben: "Eine Beschränkung der Rückforderbarkeit auf die letzten drei Jahre erscheint angemessen", sagt der Jurist dem STANDARD. Damit würde "der Aspekt des gelebten Familienlebens zwischen Scheinvätern und Scheinkind angemessen berücksichtigt". Derzeit werde dies in der Rechtsprechung gar nicht berücksichtigt.

Ein deutliches Signal, dass es nicht nur eine biologische Vaterschaft gibt, setzt Frankreich. Dort ist eine Vaterschaftsanfechtung ausgeschlossen, wenn zwischen Vater und Kind fünf Jahre lang eine "sozial-familiäre Beziehung" bestanden hat. Wie viele Betroffene es in Österreich gibt, lasse sich schwer festmachen, sagt Schoditsch, aber "in den letzten Jahren hat es beinahe jedes Jahr ein Urteil des Obersten Gerichtshofs zu Scheinväterprozessen gegeben. Das zeigt letztlich: Die Leute kämpfen erbittert um ihr Recht."

Das weiß auch Katharina Braun aus erster Hand. Die Wiener Anwältin vertritt immer wieder Kinder, die erfahren mussten, dass ein anderer der Vater ist, seltener hat sie auch Scheinväter als Klienten, wie etwa Herrn B. Braun meint, dass man die Mütter stärker in die Pflicht nehmen sollte: "Man sollte sich eine Gesetzesänderung dahingehend überlegen, dass eine Frau Auskunft geben muss, wenn es Zweifel an der Vaterschaft gibt. Wenn sie das nicht macht, sollten hieran negative Folgen geknüpft werden", sagt Braun.

Und: "Hat die Frau darauf hingewiesen, dass auch möglicherweise ein anderer als Erzeuger infrage kommt, so ist ihr dann natürlich kein Vorwurf zu machen. Es dürfen dann keine nachteiligen Konsequenzen für sie entstehen. Es liegt ja dann am Vater, sich Klarheit zu verschaffen."

Totgeschwiegenes Problem

Auch Erwin Bernat, Zivilrechtsprofessor an der Uni Graz, vermisst eine Debatte über eine Modernisierung der Scheinväter-Gesetzgebung. "Der ideelle Vorteil, den ein Scheinvater durch das Kind erfährt, ist im Zivilrecht, jedenfalls nach heute noch überwiegender Ansicht, kein Rechnungsposten." Dabei habe der Scheinvater mit Mutter und Kind bis dahin ein ganz normales Familienleben geführt.

Ein Punkt bleibe aber, der gegen eine Verkürzung des Anspruchs spreche, gibt Bernat zu bedenken: "Nicht der Scheinvater, sondern ein anderer hätte ja von allem Anfang an Unterhalt leisten müssen."

Geht es nach den beiden Rechtsexperten, dann sollte auch in Österreich eine Auskunftspflicht für die Mütter kommen. "Eine Auskunftspflicht sollte man – entgegen der heute im Gesetz verankerten Regelung – bejahen." Die Mutter habe ihrem Partner den Seitensprung verheimlicht, sich ihm gegenüber also treulos verhalten. "Hätte sie ihm 'reinen Wein' eingeschenkt, wäre die – auch finanzielle – Verantwortung gegenüber dem Kind von vornherein klargestellt gewesen", sagt Bernat. Komme diese "Offenbarungspflicht der Frau", folgert er, "dann müsste eine schuldhafte Weigerung, dieser Pflicht zu entsprechen, mit Beugestrafen, also Geldstrafen oder Haft, geahndet werden". Was für den Laien erschreckend klingt, nennt der Jurist "an sich nicht außergewöhnlich".

Derzeit seien Scheinväter vielfach zu privaten Ermittlungen gezwungen, wenn die Frau den biologischen Vater nicht nennt. "Die Durchsetzung des Regresses ist mit großen Unsicherheiten verbunden: Kenne ich den biologischen Vater nicht, kann ich nicht klagen. Und klage ich auf Verdacht, dann kann das teuer werden. Ist der Beklagte nicht der Vater, trage ich die Prozess- und seine Anwaltskosten", sagt Kollege Schoditsch.

Um dem Kindswohl zu entsprechen, sei eine Auskunftspflicht sinnvoll, sagt der karenzierte Richter: "Die Situation ist sowieso ungut." Aber widerspricht das nicht dem absoluten Schutz der Intimsphäre der Frau? Schoditsch: "Die Frage ist, ob es einen absoluten Schutz braucht. Eine Einschränkung kann sachlich gerechtfertigt sein, aber natürlich braucht es einen Ausgleich." Es müsse eine Unzumutbarkeitsgrenze, um die Frau weiterhin zu schützen, eingezogen werden. Eine solche gebe es im deutschen Gesetzesentwurf.

Alles hängt an der Frau

Was ist, wenn die Frau schweigt oder den wahren Kindsvater nicht benennen kann? Dann würde der Scheinvater zwar um sein Regressrecht umfallen, sagt Bernat, aber er könne die Mutter des Kindes "schadenersatzrechtlich in die Pflicht nehmen". Schoditsch meint, ein Anwalt würde davon wohl eher abraten, da es "für den Kläger schwierig ist, ein Verschulden zu beweisen – ihn trifft hier die Beweislast".

Rechtsanwältin Braun sieht auch ein Problem bei der Exekutierbarkeit. Sie hofft aber auf eine "Signalwirkung, dass die Angaben bei der Vaterschaft eben richtig zu sein haben". Die Mütter sollten darin bestärkt werden, ehrlich zu sein, deshalb müssten an die Nichtehrlichkeit Konsequenzen geknüpft werden. Braun: "Nicht nur, dass eben der Scheinvater für ein Kind zahlt, welches nicht sein eigenes ist, entsteht ja zwischen diesem und dem Kind auch eine emotionale Bindung."

Während sich bestens über die ideale juristische Sicht diskutieren lässt, löst die Scheinvaterschaft auf der Gefühlsebene zweifellos oft einen Sog aus, der ganze Familien zerstört – wie auch im Fall von Herrn B. Der zieht nämlich vor Gericht, "um alles richtigstellen zu lassen". Als die Mutter den biologischen Vater nennt, folgt ein langjähriger Rechtsstreit. "Ich habe die Frau und den richtigen Vater auf Regress geklagt." Viel Geld hat B. nach eigenen Angaben nicht gesehen, da der biologische Vater zum Zeitpunkt der Verhandlung arbeitslos war. Laut Herrn B. sei auch dessen Beziehung zerbrochen.

Und was ist mit dem Kind? Als es erfährt, dass ein anderer Mann der Vater ist, sei es "aus allen Wolken gefallen", erinnert sich B. Ob es im Nachhinein richtig war zu klagen? "Ich muss zugeben, dass ich damals nicht gewusst habe, was ich damit alles auslöse", sagt der Beamte. Aber es sei wichtig, dass "die Wahrheit ans Licht kommt – auch für das Kind", ist sich der Wiener noch heute sicher. "Ich würde es auf jeden Fall wieder so machen." Kontakt zum Kind gab es seither nicht mehr. (Peter Mayr, 25.9.2016)