"Kulturen zapfen Erfindergeist, Engagement und Gewitztheit jedes Einzelnen an", schreibt Margret Heffernan in ihrem Buch. Sie zeigt: Kleinigkeiten machen den Unterschied in der Arbeitskultur aus – auf diese muss geachtet werden.

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Manchmal lohnt es sich, die Schnelligkeit historischer Umbrüche in Erinnerung zu rufen: Ende des 18. Jahrhunderts lösten Thomas Newcomen mit der Erfindung der Dampfmaschine und James Watt mit ihrer Weiterentwicklung zur Einsatzreife die erste industrielle Revolution aus. Die dampfkraftgetriebenen Produktionsanlagen erweiterten die Möglichkeiten der Leistungserstellung um ein Vielfaches. Rund ein Jahrhundert später lief in Cincinnati das erste Fließband. Die Einführung der arbeitsteiligen Massenproduktion mithilfe elektrischer Energie stieß die zweite industrielle Revolution an.

Um 1969, erneut ein Jahrhundert weiter, war die Zeit reif für die dritte industrielle Revolution. Elektronik und IT ermöglichten die immer intensivere Automatisierung der Produktion. Völlig neue Möglichkeiten, in industriellem Format Leistung zu erbringen, taten sich auf.

Kleingeist gegen Erfindergeist

Und nun, nachdem lediglich ein knappes halbes Jahrhundert ins Land gegangen ist, läuten Big Data und die Digitalisierung die vierte industrielle Revolution ein. Hyperkonnektivität, die Vernetzung der physischen Welt mit dem Internet, Roboter und Algorithmen schicken sich an, die gewohnte Arbeit wie das gewohnte Arbeiten flächendeckend aus den Angeln zu heben.

Pikant in Bezug auf das Zusammenarbeiten dabei ist: Grundstürzendes wird sich verändern und muss von "oben" wie "unten" in den Griff bekommen werden, obwohl die Modi der Kooperation in der nun ihrer Götterdämmerung entgegensehenden alten Arbeitswelt noch nicht einmal belastungsfestes Handwerkszeug sind. Ein beeindruckender menschlicher Erfindergeist und Ideenreichtum schlagen sich im betrieblichen Miteinander immer wieder mit quengeligem Kleingeist, blockierendem Gruppenegoismus, egomanischem Narzissmus und nicht gerade selten psychopathischen Persönlichkeitsstörungen herum.

Illusion, hier auf eine der industriellen nachfolgende Revolution des betrieblichen Umgangsverhaltens zu hoffen. Das individuelle psychomentale Gestricktsein, Zu- und Abneigungen, die Tagesform, Witterungseinflüsse, biografische Erfahrungen und beileibe nicht zuletzt das Empfinden von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit haben immer ihre Finger im Spiel, wenn sich Menschen miteinander ins Benehmen setzen müssen. Und doch demonstriert die Praxis, dass es ein diesbezügliches "eher besser" und "eher schlechter" gibt.

Verblüfft über Passivität in Unternehmen

Margaret Heffernan zeigt in ihrem Buch Wie wir unsere Arbeitskultur verändern können: Es sind letztlich Kleinigkeiten, die den Unterschied machen und gleichermaßen menschlich wohltuende wie die Leistungskraft und die Wettbewerbsstärke fördernde Veränderungen in der Arbeitskultur der Unternehmen bewirken können.

Heffernan studierte in Cambridge, arbeitete für die BBC, ist heute vielbeschäftigte Unternehmerin, Medienmanagerin, preisgekrönte Fernsehproduzentin und Autorin zahlreicher Bücher. Ihr bevorzugtes "Erkenntnisobjekt" ist die Schnittstelle zwischen Firmen und ihren Mitarbeitern und dem, was da passiert. Nachdem sie sowohl in den USA als auch in Großbritannien Unternehmen geleitet habe, verblüffe sie derzeit die Passivität, die sie in Betrieben auf der ganzen Welt beobachte. "Ich arbeite mit Firmenchefs, die an ihren Arbeitnehmern den Mangel an Energie beklagen, während sich im Gegenzug die Arbeitnehmer über die Regeln und Abläufe beschweren, die ihr Denken und ihren Unternehmungsgeist hemmen."

Heffernans Anliegen: selbstständiges Denken und Unternehmensgeist in den Betrieben zu entfesseln. Und das scheint ihr dringender denn je geboten: "Ich berate Führungskräfte, die gelähmt sind von der Vorstellung, allwissend sein zu müssen – und sehe ihre Untergebenen schweigen, obwohl sie sich mehr Mitspracherecht wünschen." Überall werde das sogenannte Silodenken beklagt, und es scheine, als hätten die vergangenen sieben Jahre straffer Effizienz nicht die Verbindungen zwischen den Menschen gestärkt, sondern die Barrieren, schreibt sie.

Es geht auch anders

Was Frau Heffernan aus dieser "Ausgangslage" heraus zwischen zwei Buchdeckeln an Bedenkens-, Beherzigens- und Nachahmenswertem anbietet, hat seinen Ursprung in einem TED Talk, also einer auf 18 Sprechminuten begrenzten weltweiten Vorstellung eigener Ideen und Vorstellungen.

Es ist die unaufgeregte Eindringlichkeit, mit der Heffernan in fünf Kapiteln längst Bekanntes, in den Köpfen und den Herzen aber nie auf breiter Front wirklich Eingebürgertes vor Augen führt, die dieses kleine Buch empfehlenswert macht und den Leser in seinen Bann zieht.

Und weil diese Tiefenverankerung fehlt, ist das vertikale Führungs- wie das horizontale Kooperationsgeschehen meist nur etwas Theoretisches. Also etwas Formelhaftes und Formelles, das (deshalb) weder Persönlichkeitszuschnitte noch die enthemmenden Druckverhältnisse des Alltäglichen ebenso wie die Konkurrenzempfindungen des Zwischenmenschlichen wirklich zu beeinflussen oder gar lenkend an die Kandare zu nehmen vermag. Es ist diese Oberflächlichkeit, die Heffernan mit ihrer Beispielfülle zu durchbrechen versucht, mit der sie zeigen will: Es geht auch anders!

Von gerechten Kulturen

Und zwar in sogenannten "gerechten Kulturen": "Gerechte Kulturen zapfen Erfindergeist, Engagement und Gewitztheit jedes Einzelnen an; sie belohnen den Einfallsreichtum und feiern die Wahrhaftigkeit. Gerechte Kulturen erkennen, dass es wichtiger ist, Vertrauen aufzubauen und Ehrgeiz zu fördern, als Gehorsam zu belohnen – auch wenn der Weg zum Erfolg mit Fehlern gepflastert sein mag."

Den Kern "wahrhaft gerechter Kulturen" beschreibt Heffernan als ein Führungskonzept, "bei dem es nicht um diffuse Spekulationen geht – über Märkte, Aktionäre, Stakeholder, Vorgesetzte und Kollegen -, sondern darum, den Mut zu finden, für sich selbst und für andere einzustehen."

Nur so, ist Frau Heffernan überzeugt, "finden wir, woran wir glauben, wer wir sind und was wir sagen wollen. Nur wenn wir innehalten und nachdenken, lassen wir uns ein: auf uns selbst und auf die Menschen, mit denen wir arbeiten. Und aus diesen vielen kleinen Veränderungen erwachsen gewaltige Unterschiede, bis sie plötzlich, alle zusammen, (...) eine gerechte Kultur ergeben." (Hartmut Volk, 24.9.2016)