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Neelie Kroes sieht sich breiter Kritik gegenüber. Auch andere ehemalige und aktive Spitzenpolitiker tauchen in den nun veröffentlichten Dokumenten auf.

Foto: REUTERS/Laurent Dubrule

Nassau – Die frühere EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes war nach Enthüllungen der "Süddeutschen Zeitung" während ihrer Amtszeit Direktorin einer Briefkastenfirma auf den Bahamas. Die EU-Kommission will den Vorfall untersuchen. "Frau Kroes hat uns jetzt informiert und wir werden die Informationen analysieren und prüfen, bevor wir dazu Stellung nehmen", sagte eine Sprecherin am Donnerstag.

Die heute 75-Jährige Niederländerin war von 2004 bis 2010 EU-Kommissarin für Wettbewerb, anschließend vier Jahre lang Kommissarin für die Digitale Agenda. Parallel dazu war sie von 2000 bis 2009 der "Süddeutschen Zeitung" zufolge auch Direktorin der Mint Holdings Limited auf den Bahamas. Die Zeitung beruft sich dabei auf interne Dokumente aus dem Unternehmensregister des Inselstaates, die ihr zugespielt worden seien. Diese offenbarten Details über 175.888 Briefkastenfirmen und Stiftungen, die zwischen 1990 und 2016 gegründet wurden.

Kroes spricht von "Fehler"

Die ehemalige Kommissarin macht geltend, dass die Firma nie operativ war und ihr Eintrag ein administrativer Fehler gewesen sei. Zugleich ließ sie über ihren Anwalt wissen, sie übernehme die Verantwortung für den Fehler.

Scharfe Kritik kam vom finanz- und wirtschaftspolitischen Sprecher der europäischen Grünen: "Neelie Kroes ist ein herausragendes Negativbeispiel für die Beschädigung von Vertrauen in die Politik", sagte Sven Giegold am Donnerstag. Das Verschweigen ihrer Geschäftstätigkeiten auf den Bahamas sei eine schwere Verletzung ihrer Amtspflichten. Die Entwicklungen seien "die unrühmliche Krone" eines von Interessenskonflikten geprägten Lebenslaufs. "Sie wechselte zwischen Politik und Wirtschaft hin und her."

Steuervermeidung wieder in den Schlagzeilen

Die Enthüllungen fachen unterdessen die Diskussion über Steueroasen wieder an. Steuerhinterziehung koste Staaten weltweit jährlich schätzungsweise 240 Milliarden Dollar (215 Milliarden Euro), erklärte die geschäftsführende Direktorin der Hilfsorganisation Oxfam International, Winnie Byanyima. In armen Ländern sei sie auch "eine Frage der Menschenrechte", weil "Lebenschancen zerstört und Gesellschaften unwiederbringlich geschädigt werden". Oxfam fordert deshalb eine Uno-Stelle zur Reform des internationalen Steuersystems.

Die Bahamas-Leaks zeigten die Notwendigkeit, die Praxis "geheimer Unternehmen zu beenden", erklärte die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International. Sie rief Länder weltweit auf, alle Informationen darüber zu veröffentlichen, "wer Firmen in ihrem Rechtsbereich besitzt und kontrolliert".

Ruf nach Konsequenzen

Auch österreichische EU-Abgeordnete fordern ein schärferes Vorgehen. Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, forderte, die Regierung der Bahamas vor den Panama-Untersuchungsausschuss zu laden. "Das Schockierende sind nicht Einzelfälle, sondern dass die internationale Staatengemeinschaft seit Jahren schöne Absichtserklärungen produziert, ohne sich auf wirksame Maßnahmen gegen Steuerflucht zu einigen", so Karas. Er verlangte sichtbare Fortschritte bei der Erstellung einer gemeinsamen schwarzen Liste der EU, in die Drittländer aufgenommen werden, die in Steuerfragen die Zusammenarbeit verweigern.

Der grüne EU-Mandatar Michel Reimon verlangte, Steuerflüchtlingen das Handwerk zu legen. Reimon warf der ehemaligen EU-Kommissarin Neelie Kroes vor, "jene Steuersümpfe zu schützen, die sie dann selbst nutzte". Kroes habe mit dem Verschweigen ihrer Geschäftstätigkeiten auf den Bahamas ihre Amtspflichten schwer verletzt. Der Fall Kroes zeige auch, wie tief das System der Steuerhinterziehung sei. "Steueroasen wie die Bahamas laden schamlos zu Geldwäsche ein und windige Geschäftsleute können sich jahrelang hinter den Konstrukteuren ihrer Briefkastenfirmen verstecken", empört sich Reimon. (APA, 22.9.2016)