"Durch den Yoga-Boom gibt es viele Studios und damit auch viele Lehrer und Lehrerinnen, die nicht qualifiziert genug sind", sagt der Internist Andreas Michalsen. Er wünscht sich strengere Ausbildungskriterien.

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Muskelabbau setzt ab dem 40. Lebensjahr ein, man kann gegensteuern. Diese Yogastellung heißt "Pfau".

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STANDARD: Sie praktizieren Yoga und beschäftigen sich als Arzt mit der Heilkraft dieser Bewegungsform. Wie genau?

Michalsen: In den letzten Jahren sind immer wieder Studien gemacht worden, in denen untersucht wurde, inwieweit Yoga wissenschaftlich nachweisbar eine gesundheitsfördernde Wirkung hat. Ich habe ein Augenmerk auf diese Publikationen. Eine große Studie wurde unlängst im "British Medical Journal" publiziert. Sat Bir Khalsa, Professor in Harvard, hat vor kurzem das Buch "The Principles and Practice of Yoga in Healthcare" herausgegeben. Es gibt Evidenz zur Wirkung, es sind Daten, über die ich am Samstag in Wien berichten werden.

STANDARD: Bei welchen Erkrankungen würden Sie Yoga also evidenzbasiert empfehlen?

Michalsen: Bei Rücken- und Nackenschmerzen, bei psychosomatischen Erkrankungen, bei Depression und Angststörungen gibt es wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit. Abgesehen davon gibt es aber auch Studien darüber, dass Yoga Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, aber auch koronare Herzerkrankungen positiv beeinflusst. Es erfordert allerdings auch Know-how vonseiten der Yogalehrer und -lehrerinnen.

STANDARD: Inwiefern?

Michalsen: Wer mit Kranken arbeitet, muss sich auskennen, da kann es sein, dass nicht jede Yogastellung geeignet ist. Es ist wichtig, eine Auswahl von Übungen zu treffen.

STANDARD: Was unterscheidet Yoga eigentlich von Sport?

Michalsen: Yoga ist in einer gewissen Weise schon auch Sport. Wer regelmäßig übt, baut Muskeln auf, dehnt sie, bewahrt ihre Elastizität. Das Spezielle daran ist, dass bei Yoga die Muskelarbeit sehr eng mit der Atmung gekoppelt ist. Es gibt keine Sportart, bei der die Atemtechnik so im Vordergrund steht. Yoga wirkt anders als Sport, dazu gibt es Untersuchungen.

STANDARD: Was bedeutet das konkret?

Michalsen: Zum Beispiel Stress. Jeder hat Stress, und über die Atmung kann Stress reduziert werden. Da ist doch die Frage, ob Yoga nicht auch in den Schulsport gehört – nicht statt Fußball und Turnen, sondern zusätzlich.

STANDARD: Es gibt viele unterschiedliche Arten von Yoga. Einige sind eher ruhig, andere dynamisch. Einige haben fixe Übungsabfolgen, andere Stunden werden vom Lehrer bestimmt. Macht das nicht einen Unterschied?

Michalsen: Natürlich schon. Durch den Yoga-Boom gibt es viele Studios und damit auch viele Lehrer und Lehrerinnen, die oft einfach nicht qualifiziert genug sind. Jeder kann sich heute im Prinzip Yogalehrer nennen. Ich würde es begrüßen, wenn die Ausbildungskriterien strenger würden, vor allem für jene, die mit Patienten arbeiten. In Deutschland unterziehen sich die Yogalehrenden freiwillig einem Zertifizierungsprozess. Das halte ich für sinnvoll. Gewisse Arten von Yoga sind einfach nicht für alle gleich zu empfehlen, etwa Yoga in einem auf 40 Grad aufgeheizten Raum.

STANDARD: Was kann da passieren?

Michalsen: Das passt nicht für jeden, vor allem, wenn man nicht mehr topfit ist. Nur wenn du jung bist, kannst du alles machen. Wer älter wird, hat Handicaps, Bluthochdruck zum Beispiel oder Arthrosen, da kann Yoga schaden. Da fehlt die Aufklärung.

STANDARD: Wie steht es um die Verletzungsgefahr?

Michalsen: Sie ist beim Yoga erwiesenermaßen sehr gering. Dazu hat mein Kollege Holger Cramer von der Uni Duisburg-Essen eine Übersichtsarbeit gemacht. Das Ergebnis: Die Verletzungsgefahr ist nicht höher als in anderen Sportarten auch.

STANDARD: Ist Yoga eine Option auch für Kranke?

Michalsen: Durchaus, allerdings muss Yoga besser als bisher in die Medizin eingebracht werden. Zum Beispiel wenn es um Krebspatienten geht. Yoga vermindert das Fatigue-Syndrom bei Brustkrebspatientinnen und macht medizinisch deshalb Sinn. Allerdings müssen Unterrichtende auch Expertise im Umgang mit solchen Frauen haben.

STANDARD: Gibt es in Ihrer Klinik Yoga?

Michalsen: Ja, wir haben gerade drei Yogalehrer angestellt, weil Yoga in seiner Wirkung oft sogar besser als Physiotherapie sein kann. Das wollen wir im Sinne der Patienten nutzen. Doch eines ist klar: Die Haltung, Yoga als Medizin zu sehen, verändert die Sichtweise. (Karin Pollack, 23.9.2016)