Man spricht von einer Ära globaler Veränderungen, einer Periode des Umbruchs, des Verlustes, der galoppierenden Inflation, der Wirtschaftskrise, der Industrialisierung, der sozialen Ungerechtigkeiten, des Arbeits- und Klassenkampfes. Augenscheinlich, oft allzu offensichtlich klafft die Dichotomie von Arm und Reich, von grenzenlosem Hedonismus, von prätentiös präsentierten Preziosen, zur Schau gestelltem Glamour und einer grassierenden Arbeitslosigkeit, die einen immensen Zuwachs der Menschen, die unter der Armutsgrenze darbend ihr Dasein fristen, bedingt. Migrationswellen überziehen große Teile Europas. Labile Finanzmärkte, Entscheidungsallergien, kombiniert mit einer veritablen Flüchtlingskrise, bescheren manch findigem Protagonisten aber auch Reichtum.

All das klingt nach einer Beschreibung der heutigen Zeit. In Wahrheit aber dekuvriert Georg Ransmayr mit seiner Biografie über den österreichischen Textilfabrikanten, Immobilienentwickler, Gutsherrn, Hotelier, Bankier, Mäzen, Ölbaron, Zeitungsgründer und Nachtklubbesitzer Sigmund Bosel (1893-1945) die Analogie zum Hier und Jetzt. Aufstieg und Untergang des in der Monarchie geborenen Selfmade-Kronen-Trillionärs kann auch als Fallbeispiel, als Spiegel der Gegenwart betrachtet werden.

Ransmayr beschreibt detailtreu die Vita des in Wien geborenen Workaholics und Bonvivants. Über das rein Biografische hinaus sind Leben und Werdegang aber im Kontext der Geschichte Österreichs zu betrachten. Luzide werden allgemeine Ressentiments und Antisemitismus angesichts der persönlichen Historie. Der 1969 geborene ORF-Redakteur recherchierte in Archiven, traf Nachfahren wie die seit 1938 in New York lebende Tochter des "Inflationskönigs", beschreibt den Weg vom Kriegsgewinnler, Schmuggler und Spekulanten zum zunächst gefeierten Bankier, später gefürchteten Finanzjongleur – maßgeblich am Ruin von CA und PSK beteiligt – vom Kapitalisten zum Mäzen und zum Sündenbock, der letztlich ein Opfer des Holocaust wurde. Der "Traum vom schnellen Geld" ließ den Glücksritter, wie Gegenspieler Camillo Castiglioni, zum Besitzer goldener Salonwagen werden, die Liebe zum Freigeist. Sogar ein Wienerlied wird ihm huldigend zugeordnet.

Termini wie Fremdwährungskredite, Spekulationsblasen, Bankenrettung, Notverstaatlichung, Finanzbeben mit "Multiorganversagen", Budgetprobleme, Vernetzungen von Politik, Wirtschaft, Justiz und Finanz klingen nach einem allzu heutigen Wirtschaftskrimi. Feine Lektüre mit Déjà-vu-Effekt! (Gregor Auenhammer, 21.9.2016)