Sein neues Kuratorium kennt er nicht – und für seine Nachfolge wünscht er sich jemanden, der für eine unabhängige Programmierung einsteht: Walter Heun leitet das Tanzquartier noch bis 2017.

Foto: R. Hendrich

STANDARD: Das Sujet der neuen Tanzquartier-Werbelinie zeigt über dem Museumsquartier-Zentralgebäude gigantisch den Schriftzug Ihres Hauses. Ist das ein Statement zu der seit Gründung des TQW im Jahr 2001 geführten Debatte, ob da neben Kunsthalle und Halle E + G auch Tanzquartier stehen darf?

Heun: Der langersehnte Tanzquartier-Schriftzug an der Winterreithallen-Fassade ist seit zwei Wochen da!

STANDARD: Ein großer Sieg für Sie?

Heun: Sagen wir's so: Jetzt wurde eingelöst, was mir bei meiner Ernennung 2008 versprochen wurde. Was dann kam, hatte die Absurdität eines Buchbinder Wanninger von Karl Valentin und in etwa den Umfang der Unendlichen Geschichte. Nach einem Vermittlungsgespräch mit Rudolf Scholten und nach Einsatz des Stadtratbüros wurde der Schriftzug möglich. Dafür bin ich dankbar.

STANDARD: 2009 sind Sie mit dem auf die Publikumsstruktur gemünzten Slogan "Wir erweitern den Kreis" angetreten. Ist das gelungen?

Heun: Ja. Wir haben mit verschiedenen Institutionen Kooperationen aufgezogen: dem Mumok, dem Leopold-Museum, der TBA 21 oder der Tate Modern zum Beispiel. Publikumsstatistiken sind ja geduldig. Ich habe versucht, einen moderaten Umgang damit zu pflegen, weil es eine Frage von veranstalterischem Geschick ist, wie solche Zahlen aussehen.

STANDARD: Wie war die Auslastung des Tanzquartiers in der vergangenen Saison?

Heun: 66 von 115 Vorstellungen zu hundert Prozent ausgelastet, insgesamt 53.057 Besucher und eine Auslastung von 88 Prozent. Für mich war wichtig, ein offenes, fluktuierendes Publikum zu haben, verschiedene Publikumskreise zu erreichen und nicht nur für eine Community zu spielen. Ich habe versucht, das Haus differenziert zu kommunizieren und trotzdem die Linie zu verfolgen.

STANDARD: Könnten Sie diese Linie beschreiben?

Heun: Das Tanzquartier Wien als den Ort in Europa fortzuführen, an dem künstlerische Forschung und Theorie passieren, aber auch gesellschaftspolitische Diskussion zu etablieren. Wie ist Zusammenleben denkbar? Wir führen Künstler aus nichteuropäischen Regionen ein, ohne dass man sagt: "Jetzt schau ich mir mal ,das Fremde' an." Jetzt in meiner letzten Spielzeit wird es einen großen Fokus mit Kunstschaffenden aus dem arabischen Raum geben, in dem wir bündeln, was wir hier über die Jahre aufgebaut haben – in einer Festival-Ausgabe unseres Scores-Formats im November.

STANDARD: Wie hat sich der zeitgenössische Tanz verändert, seit Sie das Tanzquartier übernommen haben?

Heun: Es ist immer schwierig zu verallgemeinern. Wir haben versucht, mit den Persönlichkeiten weiterzuarbeiten, die das Haus vor meiner Intendanz mitgeprägt haben. Aber einzelne Künstler darunter sind dem Tanzquartier in seiner Dimension entwachsen. Wir können es uns gar nicht leisten, jemanden wie Boris Charmatz adäquat zu koproduzieren. Also haben wir uns auf die spannende Generation danach konzentriert, zum Beispiel auf Eszter Salamon oder Mette Ingvartsen. Oder auf Ian Kaler, den Bettina Kogler als Erste bei Imagetanz gezeigt hat.

STANDARD: Wie steht der österreichische Tanz international da?

Heun: Insgesamt und international auf herausragendem Niveau. Die Künstler hier waren diskursiv immer schon auf der Höhe der Zeit oder auch ein Stück weit voraus. Aber sie verstehen es heute noch einmal anders, ihr Denken in künstlerische Arbeiten umzusetzen. Kaler war zum Beispiel im März das Ereignis bei der Tanzplattform Deutschland.

STANDARD: Hätten Sie einen Ratschlag für die österreichische Kulturpolitik?

Heun: Es liegt mir fern, einzelne Politiker zu belehren. Prinzipiell sollte Kulturpolitik Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb deren die Akteure erschließen können, wie ihre Arbeit qualitativ bemessen wird. Ebenso sollte sie nicht nur die Rahmenbedingungen definieren, sondern auch Möglichkeiten erweitern. Und ganz wichtig: Transparenz der Entscheidungsprozesse.

STANDARD: Dem Tanzquartier ist ein Kuratorium vorgeschaltet. Aus welchen Personen besteht es derzeit?

Heun: Paradoxerweise weiß ich das gar nicht. Es gab wohl eine Restrukturierung, ich bin noch nicht informiert, wer da jetzt neu drin ist.

STANDARD: Der Intendant eines Hauses darf dessen Kuratorium nicht kennen?

Heun: Das Kuratorium vorher kannte ich. Jetzt wurde es von der Stadt und der IG ausverhandelt, es soll wohl von fünf auf drei Personen reduziert werden. Insgesamt ist es hilfreich, wenn das Kuratorium auch Vorstellungen anschaut, sage ich mal dazu. Das Tanzquartier ist das einzige Haus der Theaterreform, das so ein Kuratorium hat. Es wäre gut zu vereinheitlichen: Entweder haben alle so etwas, oder man lässt das ganz.

STANDARD: Das Kuratorium schlägt Kandidaten für die Leitung vor. Welche Verantwortung hat es dabei?

Heun: Die internationale Aufmerksamkeit gegenüber dem Tanzquartier ist enorm. Allgemein sind Wechsel in der Leitung richtig. Aber ich bin der Meinung, dass so ein Haus jemand leiten muss, der nicht selbst Künstler ist. Eine der Aufnahmebedingungen für das European Dancehouse Network EDN ist eine unabhängige künstlerische Programmierung und nicht eine Situation, in der ein Künstler die eigenen Arbeiten produziert und Programm macht.

STANDARD: Worauf freut sich Walter Heun ab Juli 2017?

Heun: Ich werde mein wunderbares Team sehr vermissen. Während meiner Tanzquartier-Intendanz konnte ich dankenswerterweise auch meine Aufgaben in München weitermachen. Daneben freue ich mich auf mehr Zeit und mein weiteres Leben in Wien zusammen mit einer wunderbaren Frau, die ich hier kennengelernt habe. (Helmut Ploebst, 21.9.2016)