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Kondensstreifen am Himmel sind wissenschaftlich bestens untersucht und schnell erklärt, doch Verschwörungstheoretiker sehen sich dadurch erst recht bestätigt.

Foto: Picturedesk / Ashley Cooper

Wien – Was die Welt im Innersten zusammenhält, weiß ganz genau, wer an Verschwörungstheorien glaubt: Die Gemeinschaft der Illuminaten kontrolliert die internationale Politik, die Mondlandungen haben nur im Filmstudio stattgefunden, und die Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel sind Spuren der organisierten Massenvergiftung der Menschheit durch Chemikalien. Man könnte solche Ideen als bizarre Privatmeinungen abtun, würden Verschwörungstheorien nicht immer häufiger auch politisch eine Rolle spielen.

Wenn Donald Trump etwa anzweifelt, dass der amtierende US-Präsident Barack Obama in den USA geboren und damit überhaupt rechtmäßig gewählt ist, bedient er die gleiche Angst wie der österreichische Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer, der mehrere parlamentarische Anfragen zu Chemtrails einbrachte: Eine mächtige, konspirative Elite lenkt die Welt hinter dem Rücken der kleinen Leute.

"Extremistische Vorstellungen – ob links, rechts oder religiös – basieren immer auf einem Glauben an Verschwörungen. Wenn wir die wachsende Radikalisierung aufhalten wollen, müssen wir uns auch verstärkt mit diesem Thema auseinandersetzen", sagt Michael Blume, Religionswissenschafter an der Universität Köln. Für Blume fängt das Problem bereits damit an, von "Theorien" zu sprechen, da allein der Begriff die jeweiligen Inhalte schon indirekt legitimieren würde: "Dabei sind diese Erzählungen häufig im wissenschaftlichen Sinn gar nicht überprüfbar." Um stereotype und monokausale Weltbilder nicht auf eine Stufe mit rational zugänglichen Hypothesen über mögliche Verschwörungen zu stellen, die bestätigt oder widerlegt werden können, schlägt Blume eine andere Bezeichnung vor: Man solle lieber von "Verschwörungsmythen" sprechen, wie es im US-amerikanischen Wissenschaftsbetrieb immer häufiger getan wird.

Vernetzte Forschung

An der Entzauberung solcher Mythen wird aktuell verstärkt gearbeitet: Immer mehr Forscher setzen sich wissenschaftlich mit Verschwörungstheorien auseinander. Dass man sich diesem Phänomen von vielen Seiten nähern kann, zeigt sich schon an der Vielzahl an Disziplinen, die sich damit befassen – von der Psychologie über die Soziologie bis hin zu den Geisteswissenschaften. Verschwörungstheorien werden dabei qualitativ, etwa durch Textanalyse, aber auch quantitativ, zum Beispiel durch Befragungen, untersucht.

Das von der Europäischen Union finanzierte Projekt Compact ("Comparative Analysis of Conspiracy Theories") will diese einzelnen Forschungen besser vernetzen. So will man sich noch produktiver mit Verschwörungstheorien auseinandersetzen, erklärt der stellvertretende Projektleiter Michael Butter vom Englischen Seminar der Universität Tübingen: "Das ist ein sehr interdisziplinäres Feld. Jedoch ist der Dialog zwischen den Forschern bislang noch nicht der beste. Wir wollen alle Disziplinen an einen Tisch bringen und die sprachlichen und methodischen Gräben, die es noch gibt, überwinden."

Für Butter sind Verschwörungstheorien ein Produkt der Aufklärung. Die Säkularisierung habe seinerzeit ein Sinndefizit geschaffen. Verschwörungstheorien jedoch erlauben es, auch ohne göttlichen Heilsplan weiterhin den Zufall auszuschließen und eine Ordnung in das moderne Chaos zu bringen. "An die Stelle Gottes treten die Verschwörer."

Berechtigte Fragen, falsche Antworten

Butters These von Verschwörungstheorien als Religionsersatz stimmt Eva Horn vom Institut für Germanistik der Universität Wien, die ebenfalls am Compact-Projekt beteiligt ist, nicht zu: "Verschwörungstheorien sind interessant, wenn man sie als politische Theorien und nicht als Glaubenssätze versteht. Statt als naive Dumpfbacken sollte man die Anhänger solcher Theorien eher als Leute sehen, die auf berechtigte Fragen die falschen Antworten suchen." Wer Verschwörungstheoretiker als arme Irre mit Alufolie auf dem Kopf betrachtet, unterschätzt womöglich ihr Potenzial. Horn verweist etwa darauf, dass es auch Verschwörungstheorien über die EU waren, die den Brexit mit möglich gemacht haben.

Mit Butters Datierung wiederum ist Michael Blume nicht einverstanden: Verschwörungstheorien seien nicht erst mit der Aufklärung entstanden, sondern eine kulturelle Konstante. Der Religionswissenschafter verweist auf den antiken Mythos vom Demiurgen, einem Schöpfergott, der die angenommene Wirklichkeit vortäuscht, um die Menschen unwissentlich in Gefangenschaft zu halten. Blume: "Dieses Motiv zieht sich durch – von den Neuplatonikern bis zu den Matrix-Filmen."

Einig sind sich die Forscher darin, dass Verschwörungstheorien in der jüngsten Vergangenheit nicht zugenommen haben, sich aber durch das Internet leichter und wirkungsvoller verbreiten lassen. Für Blume folgt dies einem altbekannten Muster: "Wenn neue Medien auftauchen, treten auch wieder Verschwörungstheorien auf den Plan." So habe der Buchdruck die Menschen nicht nur aufgeklärt, sondern auch Schriften wie den Hexenhammer verbreitet, der die Verfolgung und Ermordung von Frauen als angebliche Hexen legitimierte.

Rasante Verbreitung

Das Internet jedoch erreicht noch erheblich mehr Menschen, weshalb sich Verschwörungstheorien wohl derzeit so rasant ausbreiten. Butter blickt zurück: "Früher brauchte es viel Arbeit, um damit überhaupt nur in Berührung zu kommen. Heute reicht eine Google-Recherche." Die eine kritische Öffentlichkeit nach Jürgen Habermas gebe es nicht mehr, sie sei in verschiedene Gegenöffentlichkeiten zerfallen, sodass der gesellschaftliche Hauptdiskurs, der Verschwörungstheorien belächelte, längst nicht mehr die volle Deutungshoheit besitzt.

Anhänger dieser Diskurse umzustimmen sei schwierig bis unmöglich, sagt Ulrich Berger vom Institut für Analytische Volkswirtschaftslehre der Wirtschaftsuniversität Wien und Vorsitzender der Gesellschaft für Kritisches Denken: "Verschwörungstheoretiker zu überzeugen ist relativ unmöglich, weil die logische Argumentation als Teil der Verschwörung verstanden wird." So haben psychologische Studien gezeigt, dass Überzeugungsversuche häufig den gegenteiligen Effekt hätten. Selbst wenn hunderte Experten mit überprüfbaren Belegen aufwarten, dass der Anschlag vom 11. September keine fingierte Geheimdienstverschwörung war, beweist das Anhängern einer solchen Theorie nur, wie viele Agenten sich der Staat kaufen könne. Daher kommt es laut Berger viel mehr darauf an, präventiv aufzuklären und Verschwörungstheorien schon vorab zu entkräften.

Chemtrails am Prüfstand

Das funktioniert am Ende nur durch die seriöse wissenschaftliche Analyse – wie es unlängst eine Studie der University of California in Irvine versuchte: 77 Experten für die Erforschung der Atmosphäre bekamen Bilder und chemische Daten vorgelegt, die Anhänger der Chemtrails-Theorie als Beweise für eine spektakuläre Verschwörung anführen.

Die Wissenschafter konnten aber keinerlei Hinweise finden, die diesen Verdacht erhärtet hätten. In einer Sache haben Chemtrails-Gläubige aber durchaus recht: Kondensstreifen halten sich heutzutage länger am Himmel als früher – aber einfach deshalb, weil moderne Flugzeuge höher fliegen und ihre Motoren mehr Wasserdampf abgeben. Demnach sind Kondensstreifen also kein Hinweis für eine organisierte Vergiftung, sondern lediglich Spuren des technischen Fortschritts. (Johannes Lau, 24.9.2016)