Wien – Skizzenhaft und augenblicksnah, so stellte sich der Impressionismus die ideale Malerei vor. Welch Fremdkörper war da Georges Seurats Gemälde Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte, als es 1886 just unter Impressionisten ausgestellt wurde. Nicht im verordneten intuitiven Duktus hatte der 27-jährige nämlich seine Szenerie müßiggehender Pariser Bürger gemalt, nein: In zweijähriger Arbeit hatte er das Sujet in Abermillionen winzige, mit spitzem Pinsel gesetzte Farbpünktchen "zerlegt".

Der Pointillist Paul Signac suchte das Beständige im Flüchtigen, die Ideen hinter den Dingen. Im Bild: "Venedig, die rosa Wolke" (1909).
Foto: Albertina, Wien – Sammlung Batliner

Wie eine Maschine, könnte man sagen. Immerhin hatte sich Seurat, äußerst interessiert an neuesten Theorien zur visuellen Wahrnehmung, jenen Effekt zunutze gemacht, auf dem auch der Rasterdruck beruht: Die in ungemischten Farben dicht nebeneinander aufgebrachten Tupfer vermengen sich erst im Auge des Betrachters zu neuen Farbtönen. Die Nähe zur Wissenschaft war es dabei, die Kritikern besonders aufstieß: "Junge Chemiker, die kleine Punkte anhäufen", nannte der Maler Paul Gauguin abschätzig jene, die sich Seurat anschlossen.

In die Kunstgeschichte ist Seurats Erfindung freilich als Pointillismus eingegangen. Als technisch-wissenschaftsnaher Stil markiert dieser einen Meilenstein am Weg der Malerei in die Moderne. Diesem Umstand trägt nun eine Ausstellung in der Wiener Albertina Rechnung: Seurat, Signac, Van Gogh – Wege des Pointillismus. Ans Ende stellte Kurator Heinz Widauer u. a. eine Farbflächenkomposition Piet Mondrians. Dominiert von geometrischer Ordnung sowie den Grundfarben Rot, Gelb, Blau, steht sie für eine radikale Umsetzung auch pointillistischen Erbes: einerseits der "Farbzerlegung", andererseits der Emanzipation der Malerei vom Gegenständlichen.

Georges Seurat: "Sonntag in Port-en-Bessin" (1888).
Foto: Kröller-Müller Museum, Otterlo

Am Beginn stehen jedoch Hafenansichten Seurats aus den 1880er-Jahren: Über Schiffen, Molen, dem Meer, schwebt ein mildes Punkterlrauschen, das an die Körnung von Fotografien denken lässt. Die weltentrückten, menschenleeren Hafenbilder erzählen dabei auch von der Suche nach Harmonie: Die Pointillisten um Seurat suchten die Ideen hinter den Dingen herauszuarbeiten, das Beständige in jenem Flüchtigen, das die Impressionisten reizte.

So widersprach ein Gemälde wie Paul Signacs Das Speisezimmer (1886/87) dem Zeitgeist auch insofern, als die Menschen darin ihrer Lebendigkeit bereinigt sind: Einem geometrischen Raster folgend angeordnet und lediglich frontal oder im Profil zu sehen, wirken Großvater und Hausmädchen ein wenig wie Holzpuppen. Das Gemälde hält keinen einzigartigen Augenblick fest, sondern versucht im Stile etwa antiker Friese eine überzeitlich gültige Szene zu entwerfen.

Théo van Rysselberghe: "Im Juli, Familie im Obstgarten" (1890).
Foto: Otterlo, Kröller-Müller Museum

Faszinierend nehmen sich die Frauenporträts Théo van Rysselberghes aus, der das Farbrauschen gezielt einsetzt, um etwa Textilien zu überhöhen. Mit Idyllenbildern, inspiriert von der südfranzösischen Landschaft, punktelten sich unterdessen Maler wie Signac oder Henri-Edmond Cross weit weg von der Großstadt Paris.

Die Punkte werden größer

Schließlich erzählt Wege des Pointillismus aber auch von der "Befreiung des Punkts", also davon, wie aus dem richtungslosen Punkt die Linie respektive der Fleck wurde. Mitunter aus einem sehr einfachen Grund: Die Maler waren der langwierigen Arbeit im Atelier überdrüssig, wollten auch wieder in der Natur arbeiten. Das Dogma lockerte sich dabei insofern, als Signac in einer einflussreichen 1899 erschienenen Schrift den "Divisionismus", also die Farbzerlegung, zum Kern des Pointillismus erklärte.

Vincent van Gogh: "Interieur eines Restaurants" (1887).
Foto: Kröller-Müller Museum, Otterlo

Für Weiterentwicklungen steht in der Albertina etwa Jean Metzingers "mosaikartige" Maltechnik; Henri Matisse und André Derain erweiterten die Grenzen ihrerseits, indem sie die Farbpunkte weiter auseinandersetzten oder Konturlinien zogen. Ein Vorbild fanden sie dabei auch in Vincent van Gogh: Der Niederländer hatte sich bereits 1887 mit dem Pointillismus beschäftigt, wurde mit der maschinellen Arbeitsweise allerdings nicht warm. Van Gogh steht in der Albertina für eine frühe Position, die sich Errungenschaften der pointillistischen Avantgarde im Sinne persönlichen Ausdrucks aneignete. (Roman Gerold, 19.9.2016)