Franz Jägerstätter wirbt hinreißend um seine Franziska: Ines Schiller und Julian Sigl in den Linzer Kammerspielen.


Foto: Yasmina Haddad

Linz – Ein unscheinbarer Brief liegt in der Hand der Bäuerin Franziska Jägerstätter (Ines Schiller). Das Schreiben ist im ungerührten Jargon einer Wehrmachtsverlautbarung abgefasst. Es enthält die Mitteilung von der Hinrichtung des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen Franz Jägerstätter, eines katholischen Landwirts aus St. Radegund, in Berlin, am 9. August des Kriegsjahres 1943.

In den Kammerspielen des Linzer Landestheaters möchten die lieben Hinterbliebenen gegen ihren "Franz" noch einmal recht behalten: ein zweiter, symbolischer Mord, der sich an dem Andenken eines Helden vergeht. Felix Mitterers Jägerstätter aber ist der Versuch einer Rekonstruktion. Wie kommt es, dass ein einziger, glaubensfester Mann gegen die Übermacht der Drohungen und "guten Gründe" recht behält?

Schillers Hand zittert beim Verlesen der Todesnachricht. Franzens Mutter (Eva-Maria Aichner) aber, die knöchernen Finger ineinandergesteckt, keift los. "Umbracht" haben sie ihren Franz. Schon plärren auch die Dörfler in den Walkjacken los: "umbracht".

Felix Mitterer zeigt Jägerstätter (Julian Sigl), diesen ernsten Unbestechlichen mit dem flackernden Blick, in seinem gleichnamigen Drama im Kampf an zwei Fronten. Mit sich, da er, als störrischer, aber wohlgelittener Bauer den eigenen Überlebenswillen niederringen muss. Vor allem aber mit den Kollaborateuren eines Systems, das die Menschen erst lockt, um sie sich danach umso vollständiger zu unterwerfen.

Die Welt der Zirbenstuben wird nur zitiert in Linz – Regisseur Markus Völlenklee hat eine biegsame, gleichsam Brecht'sche Versuchsanordnung zusammengewürfelt. Die steht Mitterers Meisterstück ausgezeichnet zu Gesicht. Ein skelettierter Bühnenkasten (Ausstattung: Momme Röhrbein) wird unaufhörlich gedreht. Als spränge ein unsichtbarer Zeiger von einer Leidensstation zur nächsten.

Vor allem aber wird famos gespielt in dieser Eröffnungsinszenierung der neuen Schauspielära. Aus dem Chor der argwöhnischen Hetzer schlüpfen Einzelne hervor, die in wenigen Strichen vollständige Charaktere erstehen lassen. Denn es ist längst nicht so, dass Jägerstätter auf seinem Leidensweg nur auf verstockte Braune träfe.

Vom Hallodri entwickelt sich der skrupulöse Mann zum Ratsuchenden, dem kein verholzter Bischof (Lutz Zeidler) zu sagen vermag, was er um seines Glaubens willen leide. Sigl hält in traumwandlerischer Sicherheit die Mitte zwischen Kindlichkeit und notwendigem Starrsinn. Seine Werbung um Franziska gehört zu den großen Liebesszenen dieser noch jungen Saison. Aus dem famosen Ensemble sei Jan Nikolaus Cerha hervorgehoben. Als uniformierter Anwalt des mit sich Ringenden schwingt er sich augenblicksweise zur Höhe eines Harras (Des Teufels General) auf. Mitterers Stück behält auch im Zweitversuch vollständig recht: Aufstehen gegen den Ungeist, wo er sich zeigt. Jubel für alle Beteiligten. (Ronald Pohl, 19.9.2016)