Alen R. wurde vor der Polizeistelle Schmiedgasse gestellt. An seinem Wagen hingen noch Stofffetzen eines Kleides. Auf dem Beifahrersitz lag das blutige Messer, mit dem er Passanten attackiert haben soll.

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Graz – Es werden bewegende Tage für Graz, Tage, die all das wieder hochkommen lassen, was die Stadt an diesem heißen Junisamstag 2015 binnen weniger Minuten in einen Schockzustand versetzt hat. Es wird wohl eine Art Traumatherapie für die Opfer und Zeugen sein, wenn morgen, Dienstag, Alen R. im Grazer Straflandesgericht mit seiner Horrorfahrt konfrontiert wird.

Es wird alles, was sich in dieser Mittagsstunde in der Grazer Innenstadt zugetragen hat, detailliert noch einmal in Erinnerung gerufen. Bürgermeister Siegfried Nagl wird abermals schildern, wie er – auf seiner Vespa fahrend – Alen R. auf sich zurasen sah. Nur knapp konnte er noch ausweichen, den Blick des Lenkers werde er "nie vergessen", sagte Nagl.

In Fußgängerzone gerast

Andere der mehr als 100 Augenzeugen und Opfer werden vor dem Richter wiederum berichten, dass sie, wie sie zu Protokoll gegeben haben, vermeinten, "ein Lächeln" im Gesicht Alen R.s gesehen zu haben, als dieser mit einem grünen Geländewagen und hohem Tempo in die belebte Fußgängerzone der Herrengasse raste, die vollbesetzten Schanigärten ansteuerte und dabei drei Passanten, darunter einen kleinen Buben, tötete und dutzende Passanten zum Teil schwer verletzte.

Die Polizei zählte letztlich mehr als 100 Opfer, einige von ihnen sind nach wie vor in psychologischer Betreuung, die Wucht der Bilder, des Erlebten war zu erdrückend. Etliche werden auch bei der Zeugenbefragung vor Gericht psychologische Unterstützung benötigen.

Hunderte Stofftiere

Der Horrortrip dauerte nur wenige Minuten. Alen R. wurde in der Schmiedgasse vor der Polizeistelle von Sicherheitsbeamten gestellt. Am demolierten Wagen hingen noch Fetzen eines Kleides.

Hunderte Stofftiere, tausende Kerzen erhellten in der Nacht darauf die Herrengasse. Hunderte Menschen zogen in Gruppen schweigend am Lichtermeer vorbei. Die bis heute quälende Frage konnte noch immer nicht beantwortet werden: Warum? Warum soll dieser Mann, der als Bub von Bosnien mit seinen Eltern nach Österreich kam, dieses Blutbad angerichtet haben?

Wird der Prozess eine Klärung bringen, oder wird Alen R. gar nicht in der Lage sein zu antworten, weil er psychisch in einem Ausmaß krank ist, dass er selbst keine Erinnerung mehr daran hat, was an diesem Samstagmittag geschehen ist – wie er in den Vernehmungen angab? Seine Verteidigerin sagt, er habe sich verfolgt gefühlt. Die Gerichtspsychiater sprechen von "paranoid und schizophren".

Das Motiv fehlt

Über das tatsächliche auslösende Motiv ist bisher nichts bekannt. Ein politischer oder religiöser Hintergrund wurde von der Polizei ausgeschlossen. Erste Aussagen von Passanten, er habe "Allahu akbar" gerufen, hätten sich als erfunden herausgestellt.

Diese Amokfahrt erinnert andererseits aber frappant an das Muster ähnlicher Autoterroranschläge – wie zuletzt auch in Nizza. Die Polizei und ermittelnde Behörden konnten bisher aber keinerlei islamistischen Hintergrund feststellen.

Das Gericht tat sich jedenfalls schwer zu entscheiden, ob ihm überhaupt ein Prozess gemacht werden kann, weil er womöglich unzurechnungsfähig ist.

Zwei von drei Gutachtern befanden: Alen R. sei nicht zurechnungsfähig. Daher gibt es auch keine Anklage, die Staatsanwaltschaft hat in der Folge lediglich einen Antrag auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingebracht.

Jetzt liegt die ganze Verantwortung bei den Geschworenen. Sie werden letztlich auch über die Frage der Zurechnungsfähigkeit entscheiden müssen und könnten je nach Verlauf des Prozesses auch zu einer völlig anderen Beurteilung als die Gutachter kommen. (Walter Müller, 19.9.2016)