In ihrem jüngsten Koalitionsstreit über die Sparpolitik in der Eurozone haben Bundeskanzler Christian Kern und Finanzminister Hans Jörg Schelling in einer großen europäischen Debatte gegeneinander Stellung bezogen – der SPÖ-Chef aufseiten Italiens, Frankreichs und Griechenlands, der ÖVP-Minister hinter Deutschland und der EU-Kommission. Das ist neu: Bisher hat die Koalition die Eurorettungspolitik mit ihren Hilfskrediten und Sparauflagen gemeinsam mitgetragen.

In dem oft schrillen und selbstgerecht geführten Schlagabtausch, der von Kerns FAZ-Beitrag ausgelöst wurde, wird übersehen, dass es in der Frage "Austerität oder Ankurbelung" keine eindeutigen Antworten gibt, weil sich glaubwürdige ökonomische und politische Argumente auf beiden Seiten finden.

So haben die Kritiker der Sparauflagen für hochverschuldete Staaten keine Alternative zu bieten. Der Verzicht auf Austerität bedeutet ja eines: eine Ausweitung der Verschuldung. Dass ein Land wie Griechenland, das es kaum schafft, die laufenden Staatsausgaben aus Steuereinnahmen zu decken und sich auf dem Finanzmarkt nicht finanzieren kann, keinen Spielraum für neue Schulden hat, ist klar. Das wäre auch den deutschen und österreichischen Steuerzahlern, die dafür aufkommen müssten, nicht zumutbar.

Auch in Italien leuchtet es nicht ein, warum Konjunkturprogramme auf Pump jetzt funktionieren sollten, nachdem das Land auch durch die jahrzehntelange Anhäufung riesiger Schulden in seine missliche Lage geraten ist. Die einzige nachhaltige Lösung sind Strukturreformen, bei denen allerdings auch Premier Matteo Renzi meist an innenpolitischen Widerständen scheitert. Da ist es leichter, der Sparpolitik die Schuld zuzuschieben.

Wo Kerns und Renzis Kritik am meisten zutrifft, ist beim freiwilligen Sparmeister Deutschland. Europas größte Volkswirtschaft häuft nämlich Jahr für Jahr Rekordüberschüsse in ihrer Leistungsbilanz an – und zwingt damit die anderen Staaten zu jenen Defiziten, die deutsche Politiker dann so gerne beklagen. Deutschland müsste als gesamte Volkswirtschaft viel mehr konsumieren, als es das heute tut. Aber da man Menschen dazu nicht zwingen kann, müssten der Staat und die Gemeinden mehr investieren. Stattdessen rühmt sich Finanzminister Wolfgang Schäuble seiner schwarzen Haushaltszahlen.

Ob Sparen oder Investieren angesagt ist, hängt vom jeweiligen Land ab. Wer heute auf dem Finanzmarkt kaum Zinsen bezahlen muss, für den werden Investitionen günstig. Aber wenn Staaten mit sehr hoher Verschuldung dies nutzen wollen, drohen ihre Zinsen rasch wieder zu steigen.

Mit seinem moderaten Leistungsbilanzüberschuss, seiner relativ hohen Staatsverschuldung, aber niedrigen Zinsen steht Österreich dazwischen. Eine Ausweitung der Defizite durch höhere Staatsausgaben oder nicht gegenfinanzierte Steuersenkungen würde wohl nur wenig Schaden anrichten, aber langfristig auch nichts nutzen.

In Österreich investiert der Staat genug; was fehlt, sind Investitionen der Unternehmen, die zu wenig Wachstum und Marktchancen sehen. Dafür braucht es eine entschlossene Liberalisierungs- und Standortpolitik, für die weder die SPÖ noch die ÖVP genügend Willen aufbringen.

Es ist deshalb egal, ob Kern oder Schelling eher recht hat. Sie führen die falsche Debatte.(Eric Frey, 18.9.2016)