ÖGB-Präsident Erich Foglar sieht seinen Gewerkschaftsbund sich als Säule der österreichischen Demokratie.

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Ich habe vor kurzem ein großes Kuvert von meiner Gewerkschaft in der Post gefunden, in der mir von ÖGB-Präsident Erich Foglar zu meinem 25-jährigen Jubiläum als Gewerkschaftsmitglied (bei der Journalistengewerkschaft in der gpa-dpj) gratuliert wurde – mit eigenhändiger Unterschrift und ÖGB-Anstecknadel.

Es mag manche überraschen, weil ich die wirtschaftspolitischen Ansichten des Gewerkschaftsbundes nur selten teile. Aber ich bin stolz auf diese Mitgliedsschaft. Die Stärke des ÖGB ist eine der Geheimnisse, warum es Österreich bei allen Fehlern und Versäumnissen immer noch so gut geht.

Und wenn die Metaller-Gewerkschaft am Montag mit den Vertretern der Industrie die neue Lohnrunde eröffnet, wird sich wieder zeigen, welches Glück Österreich mit dieser Gewerkschaftsbewegung hat.

Klassische Interessenvertreter

Gewerkschaften sind klassische Interessenvertreter, ebenso wie Berufs- oder Wirtschaftsverbände. Je kleiner die Gruppe ist, für die sie eintreten, desto mehr stehen Partikularinteressen im Vordergrund.

Wenn in bestimmten Branchen dann noch unterschiedliche Gewerkschaften miteinander konkurrieren, dann entsteht ein Wettkampf um die Frage, wer für eine ganz bestimmte Berufsgruppe am meisten herausholen kann – egal, ob dies für die Allgemeinheit von Nutzen ist oder nicht.

Nur noch stark im öffentlichen Dienst

Nun hängt die Macht einer Gewerkschaft vor allem von einem ab: Ob ihre Branche eine Art Monopolstellung hat, die es erlaubt, unabhängig von den Kosten mehr herauszuschlagen, oder ihr Spielraum durch einen harten, meist internationalen Wettbewerb eingeschränkt ist.

In der Praxis bedeutet das: Klassische Industriegewerkschaften werden im Zeitlalter der Globalisierung immer weniger mächtig, während öffentliche Gewerkschaften, deren Mitglieder im politisch geschützten Sektor arbeiten, immer noch starke Druckmittel in der Hand haben.

Deshalb sind die meisten Streiks in europäischen Staaten auf den staatlichen Sektor beschränkt, wo man durch kleine Aktionen viel Wirkung erzielen kann, etwa im öffentlichen Verkehr. Industriegewerkschaften verlieren hingegen immer mehr an Mitgliedern und Einfluss.

Anderswo sinkt die Lohnquote

Die Folge ist oft, dass die Lohnquote sinkt und damit die Kaufkraft und auch das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft. Die Gewerkschaften, die noch Druckmittel besitzen, treiben hingegen für ihre Mitglieder Löhne und Privilegien immer weiter hinauf.

In Österreich ist das anders. Gewerkschaften sind auch dank seines Vorrechts, Kollektivverträge auszuhandeln, in der Privatwirtschaft noch fast genauso stark vertreten wie im öffentlichen Sektor. Und durch eine starke zentralen Führung durch den ÖGB sehen sich die Gewerkschaften nicht nur als Kämpfer für Eigeninteressen, sondern auch als Säule der Gemeinschaft.

Kaum Streiks und moderate Lohnabschlüsse

Die Folge ist meist eine konstruktive Verhandlungsführung mit nur gelegentlichen Streikdrohungen aber keinen echten Streiks und moderate Lohnabschlüsse, die dennoch dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer an den Produktivitätsgewinnen teilhaben. Das ist in den USA, wo die einst mächtige Gewerkschaftsbewegung kaum noch Einfluss hat, viel weniger der Fall.

Hier ist Österreich auch der deutschen Gewerkschaftsbewegung überlegen, die Kleingewerkschaften wie die der Piloten oder Lokführer nicht im Griff hat. In Deutschland wird daher mehr gestreikt als bei uns – und das öffentliche und wirtschaftliche Leben damit gestört, ohne dass ein gesamtgesellschaftliches Ziel verfolgt wird.

Bitte mehr Bereitschaft zur Flexibilität

Man würde sich wünschen, dass die Gewerkschaft sich rascher vom traditionellen Bild der Industriearbeit, die immer mehr schwindet, verabschiedet und bereitwilliger Entwicklungen wie flexible Arbeitszeiten oder neue Arbeitsformen akzeptiert. Bei Pensionen steht der ÖGB zu sehr auf der Bremse, etwa bei der Anhebung des Frauenantrittsalters. Auch beim Zugang von Asylwerbern zum Arbeitsmarkt wäre mehr Beweglichkeit wünschenswert.

Aber wenn die Gewerkschaft einer Änderung zustimmt, wie im Vorjahr im Metaller-Kollektivvertrag, dann geschieht es im Rahmen eines breiten Konsenses, der zukünftige Konflikte verhindert oder entschärft. So ist Österreichs Arbeitsrecht in vieler Hinsicht flexibler als dies anderer EU-Staaten, ohne dass es zu Massendemonstrationen kommt.

Eine marktwirtschaftliche Demokratie braucht Gewerkschaften, und diese haben im Idealfall das Wohlergehen der gesamten arbeitenden Bevölkerung im Blick. Kaum anderswo ist dies so sehr der Fall wie in Österreich, dem Land mit der besten Gewerkschaft der Welt. (Eric Frey, 25.9.2016)