Wer bremst, gewinnt – in Elektrizität umwandelbare Energie.

Foto: Brigitte Kramer aus Mallorca

Wien – Es grollt, kreischt, und der Fahrtwind zerzaust die Haare: Wenn eine U-Bahn in die Station einfährt, ist etwas los. Alle U-Bahnen und Straßenbahnen der Wiener Linien haben bereits heute die technischen Voraussetzungen, diese Bewegungsenergie, die durch das Bremsen der tonnenschweren Wagons entsteht, in elektrische Energie umzuwandeln und in ein Gleichstromnetz einzuspeisen. Züge im unmittelbaren Umfeld nutzen diesen Strom beim Anfahren.

Doch das Potenzial ist noch lang nicht ausgeschöpft. Im Rahmen des Projekts "Brake Energy" wird ab Ende 2016 in einer Pilotanlage getestet, wie man die anfallende Energie auch dann nutzen kann, wenn kein anderer Zug in der Nähe ist, um diese Energie aufzunehmen. "Durch Einspeisung der Bremsenergie in das Mittelspannungsnetz wäre eine Nutzung dieser Bremsenergie in den Stationen möglich, etwa für Aufzüge, Fahrtreppen, Lüftung und Beleuchtung", erklärt Eva Keuschnig. Sie leitet das Referat Ressourcenmanagement in der Abteilung für Elektro- und Maschinentechnik im Infrastrukturbereich der Wiener Linien und ist für Energiebeschaffung, -controlling und -effizienzumsetzungen zuständig.

Das Potenzial ist von der Tageszeit und den Zugintervallen abhängig, erklärt Keuschnig dem STANDARD: "In den Randzeiten und am Wochenende kann die Bremsenergie – da in solchen Zeiten die Wahrscheinlichkeit, dass andere Züge diese Energie aufnehmen, gering ist – durch Einspeisung ins Mittelspannungsnetz genutzt werden."

Die Wiener Linien betreiben seit 2005 ein wachsendes, eigenes 20-Kilovolt-Wechselstrom-Mittelspannungsnetz. Es versorgt aktuell 50 U-Bahn-Stationen und besteht aus drei eigenständigen Ringen für die Linien U1, U2 und U4.

Weltweites Forschungsthema

Die Verbesserung der Bremsenergienutzung wird von vielen U-Bahn-Unternehmen auf der Welt untersucht, berichtet Keuschnig. Sie vertritt die Wiener Linien im Internationalen Verband für öffentliches Verkehrswesen (UITP) und nimmt am internationalen Erfahrungsaustausch der Verkehrsbetriebe teil. "Es gibt auch andere Ansätze als die Nutzung im Mittelspannungsnetz wie zum Beispiel die Zwischenspeicherung in Batterien, Schwungrädern oder Superkondensatoren", sagt sie.

In Brüssel wird ein ähnliches Projekt wie in Wien bereits operativ betrieben. Paris arbeitet noch an einer Ausschreibung. In Hongkong wurden Testsysteme mit Batterien installiert. Die Hamburger Hochbahn setzt ein Schwungradsystem ein. "Während Speichervarianten überall möglich sind, setzen Einspeisungen ins Mittelspannungsnetz die Möglichkeit einer solchen Einspeisung voraus", so die Expertin. Daher gebe es international Interesse an den Ergebnissen des Einspeiseprojekts.

Das Monitoring und die Analyse der Ergebnisse von "Brake Energy" sollen bis September 2017 abgeschlossen sein. Die Ergebnisse des Testbetriebs sollen zeigen, ob sich diese mit den Simulationsergebnissen decken. Die Auswertungen dienen als Grundlage für weitere Investitionsentscheidungen für Folgeprojekte. "Brake Energy" wird vom Innovationsfonds der Wiener Stadtwerke mitfinanziert, Projektpartner ist die Wiener Lokalbahn.

Kosten und CO2 sparen

Aktuell beträgt der Anteil des Fahrstromverbrauchs der U-Bahnen am gesamten Stromverbrauch der Wiener Linien rund 40 Prozent, informiert Sprecherin Johanna Griesmayr. Das sind etwa 170 Gigawattstunden pro Jahr, was dem Jahresverbrauch von rund 50.000 Wiener Haushalten entspricht. Ziel sei es daher den Primärenergiebezug zu senken, um neben der Reduktion der CO2-Emissionen auch Kosten zu sparen. (Julia Schilly, 19.9.2016)