Rockmusik kann man nicht nur immer wieder hören, man muss es tun. Zum einen hat das damit zu tun, dass der Schallplattenspieler ein Gerät ist, das einen mit geheimen Befehlen dazu zwingt, immer und immer wieder dieselben Stücke aufzulegen. Zum anderen ist der Rock im Alter mittlerweile so selbstverständlich und massentauglich geworden, dass er sich mitunter sogar in das Schlagergesumse von Radio Burgenland einschleicht, Werbung für Autos und Verdauungstabletten macht – oder als Titelmelodie von halbdämlichen CSI-Würzburg-Serien herhalten muss. Und: Wer will schon Neues hören? Wiedererkennen ist viel gemütlicher.
So kam man im Fernsehen während der letzten zehn Jahre über den Song "Who Are You?" von 1978 regelmäßig in Kontakt mit einer Band, die kreativ im Wesentlichen seit dieser Zeit stillgelegt ist. Keith Moon, das Vorbild für den Schlagzeuger "Das Tier" aus der Muppet Show, starb noch im selben Jahr den Rock-'n'-Roll-Lifestyle-Tod. Bassist John Entwistle folgte ihm 2002. Von der Originalbesetzung von The Who sind noch Songschreiber und Gitarrist Pete Townshend sowie Sänger Roger Daltrey übrig.
Ringo Starrs Sohn als Bandbaby
Mit seinen 71 beziehungsweise 72 Jahren gastierte das Duo mit sechs Begleitmusikern, darunter Ringo Starrs Sohn Zak Starkey als 49-jähriges Bandbaby am Schlagzeug, in der Wiener Stadthalle. Vor 10.000 Besuchern, von denen einige bereits mit ihren Enkelkindern angereist kamen, konnten und wollten keine Experimente gemacht werden.
Früher zählten The Who mit ihren Konzerten zu den lautesten Acts im Geschäft. Rock will eben nicht nur mit spieltechnischer Finesse punkten, sondern schon auch damit, dass die Hosen während eines Gigs am Bein schlackern. Heute muss man noch immer so laut spielen, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht, weil man ja mittlerweile ein halbes Jahrhundert so laut gespielt hat, dass man darüber halbtaub geworden ist. Merke: Ein Rockkonzert ist nur dann gut, wenn man im Saal Gespräche deshalb beendet, weil es einem zu dumm wird, wenn man bei jedem Satz dreimal nachfragen muss, was gerade gesagt wurde.
Alte Amphetaminmissbrauch-Klassiker
The Who starteten das Konzert naturgemäß mit der CSI-Würzburg-Sache, einem Song aus der Midlife Crisis Pete Townshends. Danach lehnte man sich tapfer zurück in die mittleren 1960er-Jahre und strampfte beherzt alte Amphetaminmissbrauch-Klassiker wie The Kids Are Alright, I Can See For Miles und My Generation. Keine weit aufgerissenen Augen und eingefallenen Wangen mehr, stattdessen etwas bauchig. Zünftig und rockig halt. Während einer längeren Durststrecke von gut einer Stunde folgte darauf unbekannteres Material aus den diversen Schaffensphasen der Band, das uns Pete Townshend nahelegen wollte, weil es so gut sei. Behind Blue Eyes und You Better You Bet, der selbst von vielen Fans gefürchtete Worauf-du-Gift-nehmen-kannst-Abgesang von 1981, waren noch die Highlights. Aus dem Motorrollerfilm Quadrophenia setzte es 5:15, der Rest zog sich in der Länge. Roger Daltrey spuckte zwischen den Songs allerdings wie ein junger Gott. Keine Schönheit ohne Gefahr!
Die letzten fünf Songs des gegen Ende gewohnt brustfreien, allerdings frisurentechnisch zunehmend unglaubwürdiger werdenden Roger Daltrey und eines schließlich auch wieder fast wie in jungen Tagen auf seiner Gitarre gegen Windmühlen kämpfenden Pete Townshend gerieten allerdings zu einem wirklich schönen Abschied. Mit Pinball Wizard sowie See Me, Feel Me, Baba O'Riley und Won't Get Fooled Again verabschiedeten sich The Who sehr wahrscheinlich nicht nur von Österreich. Der Viererziegel ließ auch noch einmal jenes Feuer aufblitzen, das nicht nur die Band, sondern auch Rockmusik im Allgemeinen relevant machte. Vor 40 Jahren. (Christian Schachinger, 15.9.2016)