Halle (Saale) – Im Jahr 2000 entdeckte man aus der Luft nahe der Stadt Quedlinburg in Sachsen-Anhalt seltsame Wuchsunterschiede in einem reifen Getreidefeld, die auf ringförmige Strukturen hindeuteten. Genauere geophysikalische Untersuchungen bestätigten drei Jahre später die ursprüngliche Vermutung, dass es sich um die Überreste einer urzeitliche Anlage handelt. Doch was war der Zweck der konzentrischen Kreise? Mehrjährige Grabungen brachten schließlich die Antwort auf diese Frage ans Licht: Die aufwendige Konstruktion dürfte vor fast 7.000 Jahren als astronomisches Observatorium gedient haben.

Seit 2010 untersucht das Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt die Kreisgrabenanlage. Die Datierung ergab, dass sie zwischen 4800 und 4700 vor unserer Zeitrechnung errichtet wurde. Die bisherigen Untersuchungen haben erstaunliche Einsichten in die Planung und Ausführung dieser Anlage erbracht. Sie bestand aus drei ringförmigen, ursprünglich rund 2,5 Meter tiefen und 3 Meter breiten Gräben mit V-förmigem Querschnitt und einer, abschnittsweise zwei parallelen Innenpalisaden. Die vier Tore waren exakt auf jeweils in Blickrichtung gelegene Landmarken ausgerichtet, wie Computermodelle der umgebenden Topographie ergaben.

Archäologen gehen seit mehr als einem Jahrzehnt davon aus, dass derartige Kreisgrabenanlagen, keine Befestigungen oder Siedlungen darstellen. Sie werden vielmehr als Kultanlagen gedeutet, für die oft auch astronomische Bezüge hergestellt werden konnten. Nun ist es den Forschern um Grabungsleiter Wolfram Schier von der Freien Universität Berlin gelungen, dies bei der Kreisgrabenanlage von Quedlinburg zu bestätigen.

"Monument des Wissen"

Demnach war eine Lücke im äußeren Grabenring auf den 40 Kilometer entfernten Brocken ausgerichtet, an dessen Flanke man zu den Tag- und Nachtgleichen die Sonne untergehen sah. Weitere astronomische Analysen legen zudem nahe, dass durch die nach Südost und Südwest ausgerichteten Tore der Auf- und Untergang des Sirius, des hellsten Fixsternes am Nachthimmel, beobachtet werden konnte.

Für die Archäologen stellt die Anlage gleichsam eine "Monument des Wissens dar": "Einzelne Mitglieder der jungsteinzeitlichen Gesellschaft verfügten über komplexes Wissen", meint Schier. "Sie scheinen über genug Autorität oder Überzeugungskraft verfügt zu haben, um andere zu einer beträchtlichen gemeinschaftlichen Arbeitsleistung für eine monumentale Anlage ohne erkennbaren ökonomischen Nutzen zu motivieren." Die gesamte Konstruktion setzt außerdem eine besonders komplexe und sorgfältige Beobachtung über mehrere Jahre voraus, ehe man überhaupt mit dem Bau begann. Die Wissenschafter vermuten, dass nicht alle, sondern nur einzelne Mitglieder dieser jungsteinzeitlichen Gesellschaft über dieses komplexe Wissen verfügten, das sie einsetzten, um ihre Mitmenschen zu beeindrucken und Prestige zu gewinnen. (red, 18.9.2016)