Roger de Weck (62) ist seit 2010 Generaldirektor der Schweizer Rundfunkgesellschaft (SRG), im Gegensatz zum ORF-Chef unbefristet bestellt und mit sechs Monaten Frist kündbar. Mit 65 sollen SRG-Chefs gehen, und das hat de Weck offenbar vor. Er war zuvor Chefredakteur der Zürcher Tageszeitung "Tages-Anzeiger" und der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit".

Foto: SRG – Danielle Liniger

Bern/Wien – "Man muss wirklich Österreicher oder Verleger sein, um dermaßen über den ORF zu wettern": Vielleicht schwingt sich Roger de Weck, Generaldirektor des Schweizer Gebührenfunks SRG, mit dem Schlusssatz auf seinen Wien-Besuch kommenden Mittwoch ein. Da diskutiert er bei den Österreichischen Medientagen über das öffentlich-rechtliche Medienunternehmen der Zukunft. Per Mail beantwortete er dem STANDARD vorweg ein paar Fragen.

STANDARD: Wie schafft man es, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Rundfunkgebühren für jeden Haushalt, unabhängig vom Empfang, befürwortet? (Ich bin nicht sicher, wie eine solche Volksabstimmung in Österreich ausgehen würde.)

De Weck: Mit Überzeugungsarbeit. Weil immer mehr Menschen das Angebot der SRG via Internet nutzen, wurde die Gebühr auf Radio- und Fernsehgeräte unfair. Die Fernsehzuschauer und Radiohörer subventionierten die Internetnutzer.

STANDARD: Im Juni 2015 hat sich in der Schweiz eine knappe Mehrheit von 50,1 Prozent der abgegebenen Stimmen für eine solche Haushaltsabgabe ausgesprochen. Bei allem Respekt – sind das nicht auch fast 50 Prozent gegen die SRG und ihre Gebühren?

De Weck: Es war keine Abstimmung über die SRG, sondern über ein neues Gebührenmodell. Das haben die wissenschaftlichen Analysen nach der Abstimmung bestätigt. Und vergessen Sie nicht: Der mächtigste Wirtschaftsverband investierte Millionen Euro in die Propaganda gegen das neue Gebührensystem, während die Befürworter der Reform kaum Geld hatten. Auch machte ein beträchtlicher Teil der privaten Medien Stimmung gegen die SRG. Trotzdem setzte sich die sanfte Macht des besseren Arguments durch, wiewohl ganz knapp.

STANDARD: Warum sollen eigentlich alle Haushalte Gebühren zahlen, wenn doch recht viele, jedenfalls laute Menschen meinen: Ich nutze die BBC/die SRG/den ORF gar nicht und hole mir alles, was ich sehen und hören und lesen will – kostenlos oder gezielt bei Pay-Plattformen – auf Abruf im Netz?

De Weck: Mit unseren Programmen erreichen wir in der Schweiz wöchentlich 94 Prozent der Menschen. Ohnehin lässt sich mit Radio- und TV-Sendungen im kleinen, viersprachigen Land kein Geld verdienen. Ohne öffentliche Finanzierung hätte die Schweiz keine nennenswerte audiovisuelle Produktion. Kommt hinzu: Die Eidgenossenschaft ist deshalb so stabil, weil die Deutschschweizer Mehrheit nie privilegiert wird, auch in Sachen Medien nicht. Die Minderheiten in der französischen und italienischen Schweiz haben einen gesetzlichen Anspruch auf ein Programm, das gleichwertig ist mit demjenigen der Deutschschweiz. 70 Prozent unserer Einnahmen stammen aus der Deutschschweiz, die davon aber nur 43 Prozent erhält. Dank dieses SRG-internen Finanzausgleichs haben auch die kleinen Sprachregionen ein gutes Radio und TV. Wer die Gebühr zahlt, leistet einen Beitrag zum Zusammenhalt eines äußerst heterogenen Staatswesens.

STANDARD: Sie waren einmal Chefredakteur der "Zeit". Ein Medium, das weithin unbestritten Qualität liefert, in Information und Unterhaltung. Ein Medium, das damit auch unbestritten einigen Erfolg hat – einerseits beim Publikum und anderseits wirtschaftlich. Und zugleich ein Medium, das ganz ohne Verpflichtung des Publikums zu Gebühren auskommt, die womöglich noch unabhängig von der Nutzung der "Zeit" eingehoben würden. Spricht das nicht gegen das Gebührenmodell und besonders ein Gebührenmodell für alle, unabhängig vom Empfang?

De Weck: Audiovisuelle Produktion ist zigfach teurer als die Herstellung der "Zeit". Nochmals: Auf dem viersprachigen Schweizer Markt ist audiovisuelle Produktion – zumal von Qualität – per se unrentabel. Werbung deckt im Schnitt 22 Prozent der Vollkosten einer Sendung, beim Sport und der Unterhaltung sind es sogar nur 13 Prozent.

STANDARD: Sie haben gerade in Ihrem Plädoyer für die SRG und ihre Gebührenfinanzierung in der "NZZ" geschrieben: "Erstens produziert das öffentliche Medienhaus fast ausschließlich Sendungen, die für kommerzielle Kanäle unrentabel wären." Wenn "The Voice of Switzerland" nicht unter Ihre Fast-Ausnahme fällt: Könnte es sein, dass etwa "The Voice of Switzerland", ein kommerzielles Gesangscastingformat, das in Deutschland auf ProSieben läuft, nur wegen der dominierenden Marktstellung der SRG bei anderen Stationen in der Schweiz kommerziell unrentabel wäre?

De Weck: "The Voice" ist kein kommerzielles Format – es lief jahrelang bei der BBC, dem Inbegriff eines öffentlichen Anbieters. Die Schweizer Lizenz für "The Voice" ist seit 2014 wieder auf dem Markt. Kein privater Anbieter hat zugegriffen, weil er mit diesem aufwendigen Format in der Schweiz nur Geld verlieren würde. Mit Werbung allein lassen sich die Kosten unmöglich einspielen.

STANDARD: In vergleichenden Programmanalysen deutschsprachiger Programme kam der Unterhaltungsanteil von SRF 2 schon ORF 1 sehr nahe – und ebenso dem privaten ProSieben. Brauchen öffentlich-rechtliche Anstalten tatsächlich Fernsehprogramme, die mit US-Kaufware und internationalen Showformaten schwer von kommerziellen Kanälen zu unterscheiden sind?

De Weck: Auf dem Deutschschweizer Kanal SRF 2 laufen keine Shows. Es ist unser Kanal für Sport, Filme und Serien – und manche Serien sind heute weit mehr Kulturgut als "Kaufware". Das Schweizer Fernsehen hat das weltbeste Sportangebot im Free TV – mit hervorragendem Kosten-Nutzen-Verhältnis für das Publikum. Erlauben Sie mir den Vergleich: Der italienische Zuschauer kann den Fußball nur im Bezahlfernsehen verfolgen – und bezahlt allein für das Fußballpaket so viel wie die gesamte Empfangsgebühr in der Schweiz. Mit nur je einem Kanal in der deutschen, französischen und italienischen Schweiz könnten wir kein Sportangebot bereitstellen, schon gar nicht eines, das den unterschiedlichen Vorlieben der drei Sprachgruppen entspricht. Wenn kein Sport läuft, strahlen wir auf unseren zweiten Kanälen Filme und Serien aus: immer seltener US-Serien, zunehmend europäische Serien von bester Qualität.

STANDARD: Bei aller Strukturverwandtschaft von ORF 1 und SRF 2 und vielen anderen Ähnlichkeiten: Schauen Sie nicht manchmal – abgesehen vom in der Schweiz höheren Gehalt des Generaldirektors – ein bisschen neidvoll ostwärts über die Grenze? Der ORF darf Radiowerbung verkaufen, praktisch wie ein Privatradio, und er darf, mit bisher nicht ausgeschöpften Limits, Onlinewerbung verkaufen. Beides ist – wenn ich da noch auf dem letzten Stand bin – der SRG verboten, oder?

De Weck: Da die SRG keine Radiowerbung bringen darf, hat sich diese Gattung in der Schweiz nie durchgesetzt – sie hat einen Anteil von bloß vier Prozent am Werbemarkt. Allerdings bezweifle ich, dass das Publikum nach 80 werbefreien Jahren Radiospots akzeptieren würde. Vom Verbot der Onlinewerbung profitieren nicht die Schweizer Verleger, sondern globale Player wie Facebook. Die Hälfte der Ausgaben für Werbespots und zwei Drittel der Ausgaben für Onlinewerbung fließen ins Ausland und werden nicht in den Schweizer Journalismus reinvestiert – das ist das Problem.

STANDARD: Der ORF wiederum schaut, vielleicht neben dem Generaldirektorengehalt, auch mit ein bisschen Neid nach Westen, zur SRG: Die Wettbewerbsbehörden genehmigten eine gemeinsame Werbevermarktung der SRG als dominierendem Rundfunkveranstalter mit dem inzwischen zweitgrößten Verlagskonzern Ringier und auch noch der Schweizer Telekom, dem dritten Marktbeherrscher im Bunde. Wie hätten Sie diesen Deal als "Zeit"-Chefredakteur kommentiert?

De Weck: Diese Plattform für die gemeinsame Werbevermarktung sorgt dafür, dass mehr Werbegeld in der Schweiz bleibt und dem Schweizer Journalismus zugutekommt. In der Eidgenossenschaft leben acht Millionen Menschen, davon sind täglich fünf Millionen bei Google, 3,4 Millionen haben ein Facebook-Profil. Die Webseiten aller Schweizer Medienhäuser haben in der Schweiz zusammen weniger Nutzer als Google oder Facebook für sich allein. Schweizer Anbieter haben nur dank Kooperationen eine Chance, einen relevanten Marktanteil für sich zu behaupten. Gemeinsam haben die Aktionäre der Vermarktungsplattform Admeira und ihre Partner mehr Nutzer, eine breitere Datenbasis und eine solidere Finanzierung, um die hohen Investitionen in die digitale Vermarktungstechnologie stemmen zu können.

STANDARD: Wann kommt der allgemeine Rundfunkbeitrag nun eigentlich in der Schweiz? Der Bundesrat will sich offenbar Zeit lassen und setzt sich eine lange Frist bis 2019. Haben Sie eine Erklärung für dieses doch eher entschleunigte Tempo?

"Gut Ding will Weile haben, damit fahren wir langsamen Eidgenossen alles in allem recht gut": Roger de Weck über die bis 2019 geplante Umstellung auf eine Haushaltsabgabe.
Foto: SRG – Danielle Liniger

De Weck: In der Schweiz betreut eine private Firma im Auftrag der Regierung das Inkasso der Gebühren, das macht sie effizient und kostengünstiger als der Staat. Jetzt läuft die Ausschreibung, und es wird sich weisen, welche Unternehmen sich bewerben. Wer dann den Zuschlag erhält, braucht Zeit, um die geeignete Software zu entwickeln, Mitarbeiter einzustellen und zu schulen. Gut Ding will Weile haben, damit fahren wir langsamen Eidgenossen alles in allem recht gut.

STANDARD: 2018 oder 2019 steht die SRG vor der nächsten und existenziellen Volksabstimmung: Die Initiative "No Billag", in Österreich hieße sie wohl "No GIS", lese ich, verlangt eine Verfassungsänderung – die Schweiz soll keine Radio- und Fernsehstationen mehr subventionieren (was sie schon jetzt auch mit kommerziellen Stationen tut). Wird dieses Ergebnis wieder mit zumindest 50,1 Prozent für die SRG ausfallen?

De Weck: Bei Annahme dieser Volksinitiative hätte die Schweiz nur noch kommerzielle Kanäle, kein öffentliches Medienhaus mehr. Es gäbe lauter Verlierer: Das Publikum hätte ein viel schmaleres Angebot und im Sport ein viel teureres; die französische, italienische und rätoromanische Minderheit hätten nur noch Lokalfernsehen; die audiovisuelle Produktion, die auf die SRG angewiesen ist, würde einbrechen; die Millionen für die Kulturförderung würden wegfallen. Jede Bürgerin und jeder Bürger wird sich im Abstimmungskampf die eigene Meinung dazu bilden.

STANDARD: Zum Schluss noch zwei eher administrative Fragen: Für welche Funktionszeit werden SRG-Generaldirektoren eigentlich bestellt?

De Weck: Es gibt keine Amtszeit – aber eine sechsmonatige Kündigungsfrist. Das Pensionsalter ist 65, im gegenseitigen Einvernehmen kann bis 70 verlängert werden. Was ungut wäre für die SRG. Im digitalen Umbruch braucht jedes Medienhaus "Digital Natives", auch in Führungspositionen.

STANDARD: Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat 2014 den Gremien des ZDF mangelnde Politikferne vorgeworfen. Bis zu ein Viertel des SRG-Verwaltungsrats bestimmt die Schweizer Regierung – wie politikfern ist der Rest, soweit Sie das über Ihre eigenen Aufsichtsräte sagen können oder wollen?

De Weck: Die SRG ist kein öffentlich-rechtlicher Anbieter, sondern ein privater Verein mit Verfassungsauftrag, nach dem gutschweizerischen Milizprinzip organisiert. Der Verein hat rund 23.500 Mitglieder, jede und jeder – ob Schweizer oder Ausländer – kann beitreten. Der Verein wählt sieben der neun Mitglieder des Verwaltungsrats, zwei ernennt die Regierung, wobei aktive Politiker nicht wählbar sind. Der Verwaltungsrat ist gleichzeitig Vereinsvorstand: Er kürt den Generaldirektor, diese Wahl genehmigt die Delegiertenversammlung. Dank dieser einzigartigen Regelung ist die SRG politik- und staatsfern. Druckversuche erlebe ich kaum. Würde mich ein Minister anrufen, hätte er keine Chance – und ein Problem. Wir sind dazu da, gleichzeitig aufbauend und unbequem zu sein. Die Medien sind Kinder der Aufklärung. Öffentliche Anbieter – zu den besten in den kleinen Ländern zählt der ORF – bleiben dieser Tradition verpflichtet. Der ORF ist für mich in mancher Hinsicht ein Vorbild. Man muss nun wirklich Österreicher oder Verleger sein, um dermaßen gegen den ORF zu wettern. (Harald Fidler, 15.9.2016)