Matthias Karmasin (52) lehrt Kommunikationswissenschaft als Professor an der Uni Klagenfurt; er ist Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung an der Akademie der Wissenschaften.

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STANDARD: Warum soll eigentlich ein Staat mit öffentlichen Mitteln Medien, insbesondere privatwirtschaftliche, fördern?

Karmasin: In einem auch nur annähernd funktionierenden Markt wäre die Frage anders zu beantworten als in einem Markt, der versagt. Der Medienmarkt, zumal in Österreich, ist fast prototypisch für Marktversagen.

STANDARD: Was versagt da?

Karmasin: Die Medien sind eine Branche, in der die Größe besonders zählt: Das erste Exemplar ist das teuerste, mit jedem weiteren sinken die Durchschnittskosten, und zugleich wird mit steigender Verbreitung durch Tausendkontaktpreise (Preis für tausend Werbeträgerkontakte) der Erlös drastisch höher. Also tendiert dieser Markt stark zur Konzentration und zu Oligopolen. Es gibt folglich breiten medienökonomischen Konsens, dass ordnungspolitische Eingriffe jedenfalls geboten sind, um negative negative Effekte dieses Marktversagens zu vermeiden. Die Frage ist da nicht ob, sondern wie.

STANDARD: Und wie sollte die Politik eingreifen?

Karmasin: Sie muss möglichst politikferne Lösungen finden. Die Politik ist in der Mediendemokratie immer latent versucht, inhaltlich in Medien einzugreifen. Also muss man die Widerständigkeit und Autonomie der Redaktionen schützen und vor allem die Politik vor der Versuchung schützen, in Medien operativ einzugreifen, zugleich aber das Marktversagen teilweise kompensieren. Förderungen sind beileibe nicht der einzige Weg, damit umzugehen, aber ein Weg, den zumindest in Europa viel eingeschlagen haben.

STANDARD: Welche Form der Förderung halten Sie für sinnvoll?

Karmasin: Eine andere als bisher: Medienförderung wäre umfassend als Querschnittsmaterie zu konzipieren. Die historisch gewachsene, auch gesetzliche Trennung in Mediengattungen, ja gar in Presse- und Publizistikförderung, ist nicht mehr zeitgemäß in einer konvergenten, digitalen und globalisierten Medienwelt. Und ebenso verlangen die Besonderheiten des österreichischen Medienmarkts einen grundlegend anderen, umfassenden Förderansatz – ein relativ kleiner Markt im Einzugsbereich eines großen gleichsprachigen Nachbarmarkts mit hochdifferenziertem Angebot, ein hochkonzentrierter Zeitungsmarkt und ein Medienmarkt unter Druck globaler Konkurrenten.

STANDARD: Also braucht man mit der Presseförderung allein erst gar nicht anzufangen?

Karmasin: Die Reform der Presseförderung mit Qualitätsförderung statt Vertriebs- und Vielfaltsförderung wäre ein wesentlicher erster, aber sicher nicht der einzig notwendige Schritt: Es geht auch um Fragen der Ordnung des gesamten Marktes und seiner Rahmenbedingungen wie Konvergenz, um Rundfunkgebühren beziehungsweise Haushaltsabgaben, um die Ordnung des kommerziellen und nichtkommerziellen Bereichs, um Leistungsschutzrechte, Media Literacy, Standortpolitik, Digital Divide und vieles mehr.

STANDARD: Was soll also gefördert werden?

Karmasin: Gefördert werden soll, was Wertschöpfung in Österreich ermöglicht und was demokratiepolitisch von Wert ist. Und das ist mehr oder minder professioneller, qualitätsvoller und – in jeder Hinsicht – unabhängiger Journalismus in größter Pluralität, der freilich nicht immer auf traditionelle Medien und auf klassische berichtende Formate beschränkt sein muss.

STANDARD: Sie plädieren für Medienförderung als "Investition in Infrastruktur der Demokratie mit dem Ziel einer möglichst hohen Qualität von Öffentlichkeit". Wie misst oder beurteilt man diese Qualität von Öffentlichkeit?

Karmasin: An der Frage wird deutlich, dass in der Diskussion über Presseförderung sehr unterschiedliche Interessen und Standpunkte aufeinanderprallen: Der eine meint, Qualität sei, was erfolgreich ist und sich kommerziell durchsetzt. Die andere das, was bestimmten inhaltlichen Ansprüchen genügt. Nicht, dass es nicht legitim wäre, hinter bestimmten Definitionen auch bestimmte Interessen zu haben. Aber was hier unter Qualität zu verstehen ist, ist wissenschaftlich doch ziemlich klar: Dafür gibt es national, etwa mit der Medienqualitätsstudie der Akademie der Wissenschaften, und international genügend Beispiele. Man kann zum Beispiel Kriterien wie Pluralität, Quellentransparenz, die Einhaltung von Trennungsgrundsätzen inhaltsanalytisch messen.

STANDARD: Welche Bedingungen für Medienförderung würden Sie empfehlen?

Karmasin: Als Mindeststandard Förderung nur für Medien, die an anerkannten Maßnahmen der Selbstregulierung wie dem Presserat teilnehmen. Im Sinne gleicher Wettbewerbsbedindungen ginge es auch um die Einhaltung professioneller Standards, also zum Beispiel Redaktionsstatuten, geregelte Anstellungsverhältnisse, zudem um Fehlermanagement, Code of Conduct, Ombudsleute et cetera. Medienförderung sollte zudem, im Sinne europäischer Standards der regulierten Selbstregulierung, nicht inhaltlich eingreifen. Was etwa im Ehrenkodex der Branche steht, sollen sie oder die Unternehmen selbst aushandeln. Aber Medienpolitik soll dafür Sorge tragen, dass Prozesse der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements gefordert und gefördert werden. Kontinuierliche wissenschaftliche Begleitforschung sollte klären, welche Fördermaßnahme was bringt. Externe qualitätsgesicherte Weiterbildung ist angesichts der geschilderten Umbrüche notwendiger denn je – und also ausreichend zu fördern. Das geht jedenfalls nicht mit den derzeitigen Förderbudgets.

STANDARD: Was halten Sie von einer Pro-Kopf-Förderung für Journalistinnen und Journalisten?

Karmasin: Das kann unter den genannten Bedingungen in bestimmten Bereichen, etwa im Wissenschaftsjournalismus oder im Medienjournalismus, sinnvoll sein, wie es schon bisher Sinn ergibt, Auslandskorrespondenten zu fördern. Eine Förderung nach dem Headcount der Gesamtredaktionen fördert nur die größeren, womöglich ohnehin auf Masse ausgerichteten Titel und würde dadurch weiter zur Oligopolstruktur beitragen.

STANDARD: Ist es sinnvoll, alle Medien zu fördern, ob groß oder klein, mit Ausrichtung auf Qualitätsanspruch oder Massentauglichkeit, ob hoch profitabel oder wirtschaftlich unter Druck, ob marktbeherrschend oder nicht?

Karmasin: Ich denke, alle Evaluierungen und Studien (zuletzt von Hannes Haas) haben gezeigt, dass eine Gießkannenförderung nicht wirklich sinnvoll und erfolgreich ist. Es geht um Kriterien und um konkrete Beiträge zur Qualität von Öffentlichkeit.

STANDARD: Neben Wissenschaftern, Medienverbänden, Experten von Behörden und Journalismus sind gleich zwei Experten aus dem Umfeld der Massenblattfamilie Dichand als Referenten geladen: "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand und Medienberater Hans Mahr, der insbesondere auch für die "Krone" arbeitet. Wären Sie auf die Besetzung gekommen, wenn Sie eine Enquete zur Medienförderung konzipieren?

Karmasin: Es gibt wohl in unserer Gesellschaft kaum ein Feld, in dem so viele und so unterschiedliche Interessen öffentlich und weniger öffentlich aufeinanderprallen wie Medien, und das schließt Medienförderung und die ordnungspolitische Gestaltung medialer Märkte mit ein. Selten bestimmt der Standort den Standpunkt so nachhaltig. Da macht es schon Sinn, sich die Standpunkte und Interessenlagen der divergenten Stakeholder anzuhören. Denn bei der Lage der Dinge wird eine Reform der Medienförderung nicht nur Geld, sondern auch argumentative Mühen kosten.

STANDARD: Der neue "Heute"-Miteigentümer Tamedia, der größte Schweizer Medienkonzern, "staunt" nach eigenem Bekunden über die Höhe öffentlicher Werbegelder in Österreich – und freut sich als Mitgesellschafter darüber. Wenn man dieser Werbung unterstellt, dass sie tatsächlich zu Werbe- oder gar Informationszwecken geschaltet wird und nicht als eine Art Subvention, wie sie etwa die Stadt Wien auch versteht: Warum haben öffentliche Stellen in Österreich einen so viel höheren Informations- und Werbebedarf als die Politik etwa in der Schweiz oder Deutschland?

Karmasin: Das würde ich bitten, die zuständigen Pressebeauftragten und -dienste zu fragen. Prinzipiell ist klar, dass auch öffentliche Stellen beziehungsweise Gebietskörperschaften den Notwendigkeiten der Kommunikation in der Medien- und Informationsgesellschaft unterworfen sind. Über das Ausmaß lässt sich trefflich streiten – und auch hier prallen wohl sehr unterschiedliche Interessen und Standpunkte aufeinander. Eine Lösung wird es, so denke ich, nur in einer umfassenden Reform geben, die alle genannten Aspekte umfasst. (Harald Fidler, 16.9.2016)