Bild nicht mehr verfügbar.

Das Traditionsunternehmen Alstom in Belfort soll geschlossen werden. Hier wurden moderne Gas-Dampf-Turbinen hergestellt. Das Alstom-Werk ist ein Herzstück der französischen Industrie.

Foto: AP/Thibault Camus

Text – Belfort ist nicht nur eine Stadt von 50.000 Einwohnern im französischen Jura. Ihr Name allein steht für die französische Industrie: Hier baute der Transportkonzern Alstom 1879 seine erste Dampflokomotive, und hier produziert er die gewaltigen Hochgeschwindigkeitstriebmaschinen (TGV). Jetzt soll das Werk, das heute noch 500 Angestellte beschäftigt, bis auf eine kleine Wartungseinheit 2018 stillgelegt werden. Zukünftiges Rollmaterial will Alstom im Elsass bauen.

Der Schock sitzt in Frankreich tief. Noch vor kurzem hatte Alstom den Zuschlag für den geplanten TGV von Boston über New York nach Washington erhalten. Allerdings werden die Züge weitgehend in den USA hergestellt. In Belfort laufen die letzten Bestellungen 2018 aus. Ein erhoffter Auftrag aus Deutschland, wo die Leasingfirma Akiem 44 Rangierloks kaufen wollte, ging zum Schluss an die deutsche Vossloh. Das war der Gnadenstoß für Belfort.

Politik fürchtet ein Aus

Doch in gut einem halben Jahr sind in Frankreich Präsidentschaftswahlen, weshalb Staatschef François Hollande Alstom-Boss Henri Poupart-Lafarge umgehend in den Élysée-Palast zitierte. Am Montag berief er mit seinen Ministern eine Krisensitzung zu Belfort ein. Im Anschluss daran gab Wirtschaftsminister Michel Sapin bekannt, Hollande habe das "Ziel, die Eisenbahnaktivität in Belfort zu behalten".

Wie das geschafft werden soll, sagte Sapin nicht. Alstom ist ein Privatkonzern, auch wenn der französische Staat daran 20 Prozent der Anteile hält. Die beiden staatlichen Verwaltungsräte – und damit notgedrungen auch das Wirtschaftsministerium – waren über die Schließungspläne auf dem Laufenden gewesen. Der Vertreter der Gewerkschaft CGT bei Alstom-Belfort, François Roland, bezeichnet deshalb Hollandes Ankündigung als "politisches Herumgefuchtel".

Staatsbahn soll ordern

Einen Hebel hätte die Regierung in Paris mit der Staatsbahn SNCF, an der sie sämtliche Anteile hält. Hollande wird zweifellos Druck auf sie machen, neues Rollmaterial bei Alstom zu bestellen – und zwar noch vor den Wahlen. Die Rede ist in den Pariser Medien von einem ominösen Zwei-Milliarden-Auftrag, der die Arbeitsplätze in Belfort auf fünf Jahre sichern soll. Die SNCF lässt sich allerdings nicht gern dreinreden: An der deutschen Leasingfirma Akiem, die dem Belfort-Werk mit ihrem Schwenker das Genick gebrochen hat, ist die SNCF selber mit 50 Prozent beteiligt.

Die Zukunft von Belfort dürfte in der anlaufenden Präsidentschaftskampagne eine zentrale Rolle spielen. Die französische Industrie hat seit Jahrhundertbeginn mehr als eine Million Arbeitsplätze verloren, und das ist ein Hauptgrund für das Wahlkampfthema Nummer eins, die grassierende Arbeitslosigkeit. Die Industriepolitik der in Paris aufeinanderfolgenden Regierungen ist ein einziges Fiasko. Gut gemeinte, aber unkoordinierte und wenig durchdachte Staatseingriffe retten immer wieder einige hundert Arbeitsplätze; langfristig richten sie aber meist mehr Schaden an, als sie nutzen.

Misswirtschaft

Alstom, das einst so stolze Flaggschiff der französischen Industrie, ist ein Paradebeispiel für diese behördliche Misswirtschaft. Als der US-Konzern General Electric (GE) 2014 die Energiesparte von Alstom übernahm, bot die deutsche Siemens im Gegenzug an, das Bahngeschäft mit Alstom zusammenzulegen. 2015 erneuerten die Münchner das Angebot. Denn mit vereinten Kräften hätten die TGV- und ICE-Ingenieure der asiatischen Konkurrenz Paroli bieten können. Doch die französische Regierung zog kurzfristige Arbeitsplatzversprechen der Amerikaner vor. (Stefan Brändle aus Paris, 13.9.2016)