Begnadet für das Gnadenlose: Die Rabtaldirndln (hier: Gudrun Maier) untersuchen das Speckgürtelidyll und seine trügerischen Versprechungen.

Foto: dierabtaldirndln. wordpress.com

Wien – Wie sehen die Ketten aus, an denen die "Userinnen" unserer Zeit hängen? Luftig, leicht und spiegelnd. Sie laden zum Spielen ein. Am Wochenende machte die Künstlerin Marlene Hausegger mit ihrer performativen Installation Das Gewicht der Gegenwart zur Saisoneröffnung des Wiener Wuk mit cooler Distanz klar: Nie waren gesellschaftliche Fesseln mächtiger und trügerischer als heute.

Bettina Kogler, Kuratorin der Abteilung Wuk Performing Arts, präsentierte ein Programm der klaren Zusammenhänge. "Das Gewicht der Welt" hatte Bezüge zu Indira Núñez' Tanzperformance SehnSucht über die Isolation im Social-Media-Netz. SehnSucht wiederum verband sich mit dem Stück Luise 37 der Rabtaldirndln über die Einsamkeit von Frauen in den Speckgürtel-Soziotopen unserer Städte. Und mit Charlotta Ruths Bildfang ging es zur Schatzsuche in den Keller. Wo sonst wäre noch nach echtem Glück zu suchen?

Bei Luise 37 werden jene Fallen sichtbar, die Frauen sich selbst durch klischeegeleitete Selbstbeglückung stellen, sobald sie mit Kind, Kegel plus Mann ins "Grüne" übersiedeln. Denn in den Routinen des Alltags erweist sich das Ein- bis Zweifamilienhausparadies als Gefängnis. Familienglück ist ohnehin schwer zu organisieren. Wenn aber dazu noch die täglichen Wege neben der Haus-, Herd- und Gartenversorgung weit werden – Kinder in die Schule fahren, Halbtagsjob in der Stadt, Einkaufen, Kinder in ihre Freizeitaktivitäten karren et cetera -, zieht ein in Ödnis kippender Dauerstress ein.

Die steirischen Virtuosinnen der feministischen Performance erzählen das auf einer als Fußballplatz gestalteten Bühne – mit trockenem Witz und begnadeter Gnadenlosigkeit. Der Mann fehlt in dieser Geschichte. Ganztagsjobbedingt fällt er erstens daheim kaum auf und zweitens diskursiv nicht ins Gewicht. Kann's das gewesen sein mit einem Frauenleben?

Was da nicht stimmt, findet sich auch bei Indira Núñez, deren Solofigur ihr Publikum in eine Kleinwohnung zwängt. Dort irrt sie zwischen allerlei elektronischem Gerät umher, telefoniert mit Lover und Mama. Sie spielt Gaetano Velosos Tränentreiber Cucurrucucu Paloma ab und erinnert so an Pedro Almodóvars Film Sprich mit ihr, dessen weibliche Hauptfigur im Wachkoma liegt. Und Chavela Vargas' Paloma Negra, das in Julie Taymors hollywoodhaftem Porträt der Malerin Frida Kahlo erklingt.

Sozusagen zwischen Luises sozialem Wachkoma und der medialen Zerstörung bei Núñez tanzen Hauseggers gewaltige, aus silbrigen Ballons zusammengesetzte Ketten. Ein Video, das Teil von Das Gewicht der Gegenwart ist, zeigt ineinander verstrickte Schlangen. Und wie dazukomponiert wird Núñez' "schwarze Taube" als weiblicher Laokoon von einem Gewirr aus Kabeln gefangen. Das Thema dieses hochaktuellen, namenlosen Programms mit seinen treffenden Arbeiten zeigte sich erst bei genauem Hinsehen. Etwas, das wir dringend lernen müssen. (Helmut Ploebst, 11.9.2016)