Sven Reiger bestreitet sechs bis acht Regatten im Jahr. Der Aufwand ist sehr groß, mehr ist praktisch unmöglich.

Foto: ÖPC/Franz Baldauf

Sven Reiger wirkt entspannt. Aus seinem Boot schaut nicht viel mehr als sein Kopf heraus. Im Training wird der Ernstfall geprobt. Wettfahrten gegen den Franzosen, den Norweger, den Italiener und die Schwedin. An diesem Tag klappt nicht alles perfekt. Reiger nimmt's locker.

Der Ernstfall beginnt Montag – die erste von elf Wettfahrten in der Klasse 2.4mR. Am Samstag fällt die Entscheidung. Am Ende wäre Reiger, dem von Geburt an der linke Unterarm fehlt, gerne unter den besten sechs. Das paralympische Segelrevier kennt er erst seit kurzem. Eine Voraberkundung war finanziell nicht drin.

"Bis jetzt", sagt Reiger, "bin ich ganz gut zurechtgekommen. Ich hoffe, dass es unter Stress auch funktioniert." Immerhin kann er auf Elena Cristoforis Unterstützung zählen. Die italienische Meteorologin kennt das Revier quasi wie ihre Westentasche. Drei Jahre lang hat sie das Gebiet erkundet, schon Österreichs Segler und Seglerinnen bei den Olympischen Spielen profitierten von ihren Erkenntnissen.

Trainerkoryphäe

"Die Verhältnisse sind wirklich sehr speziell", sagt Reigers Coach Alfred Pelinka, der Strömung, Wind, Strategie und logischerweise die Konkurrenz als Hauptprobleme benennt. Pelinka ist eine Trainerkoryphäe, unter anderen hat er die Doppelolympiasieger Roman Hagara und Hans-Peter Steinacher gecoacht. Seit Ende 2012 betreut der 53-jährige Wiener Sven Reiger. Der 41-jährige Burgenländer ist eben da auf die Kielbootklasse 2.4mR umgestiegen.

In Reigers Leben dreht sich ziemlich viel ums Segeln. Im Alter von sechs Jahren begann er mit dem Sport. Es ergab sich – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Heute betreibt Reiger drei Segelschulen, eine Charteragentur für Yachten, einen Yachthafen und einen Bootshandel.

Schule statt Segeln

2008 und 2012 segelte er in der Sonarklasse paralympisch, beide Male belegte er den 13. Rang. Zwischendurch ging er fremd. Eher unfreiwillig. "Ich war in der Schule nicht gut, da haben meine Eltern gesagt, ich muss mit dem Segeln aufhören."

Sportlich betätigen wollte er sich aber trotzdem, er entschied sich für Leichtathletik. Dafür brauchte er nicht die finanzielle Unterstützung seiner Eltern. Reiger, das Multitalent, machte sich auch als Sprinter ziemlich gut. Er trainierte gemeinsam mit Ex-Staatsmeisterin Karin Mayr-Krifka.

Als erster Behindertensportler wurde er an der Universität Wien für ein Sportstudium zugelassen. 1996 gewann er bei den Paralympics in London Silber mit der 4x100-m-Staffel. Über 100 und 200 Meter wurde er jeweils Vierter. 11,00 Sekunden war Reigers Bestmarke über 100 Meter. Aber irgendwann kehrte Reiger, der auch ein ziemlich guter Skifahrer ist, zum Segeln zurück. Sechs bis acht Regatten bestreitet er im Jahr. Viel mehr geht nicht. "Es ist relativ aufwendig."

Kübeln

Bei der Europameisterschaft im Vorjahr in Valencia belegte er Platz fünf. Bei der WM 2015 in Melbourne wäre noch mehr möglich gewesen. Reiger war auf Bronzekurs, als er in der letzten Wettfahrt zu viel Risiko nahm. Das Boot füllte sich mit Wasser. Pelinka: "Wir mussten es mit Kübeln ausschöpfen." Immerhin – kentern könne Reigers 255 kg schweres, knapp 20.000 Euro teures Boot (samt Segelsatz) nicht.

Segeln ist kein billiger Spaß. Reiger wurde im Rahmen des "Projekt Rio" gefördert. Rio ist bald vorbei. "Wenn nächstes Jahr die Unterstützung wegfällt, ist das Segeln vorbei." In vier Jahren in Tokio wird Segeln ohnehin nicht mehr paralympisch sein. Stattdessen winkt den Behindertensportlern eine Olympiateilnahme.

Reigers Bootsklasse könnte die erste Inklusionsklasse bei Olympischen Spielen sein. Schon jetzt werden offene Weltmeisterschaften ausgetragen. Die Behindertensportler – die besten sind Profis – schlagen sich meist gut.

Vorerst ist Rio. Vielleicht kann Reiger überraschen. Coach Pelinka sagt: "Er hat einen sehr großen Vorteil: Denn die Medaille hat er schon." (Birgit Riezinger, 12.9.2016)