Wien – Seit Freitagabend tagt im Innenministerium übers Wochenende ein Krisenstab in Permanenz. Um 18 Uhr holt Minister Wolfgang Sobotka (ÖVP) dort die Klubdirektoren aller sechs Parlamentsparteien zusammen, um über die ernste Lage zu beraten, denn: Am Montag um Punkt 11 Uhr wird der Innenminister in der Wiener Herrengasse verkünden, wie viele defekte Briefwahlkarten aufgetaucht sind – und ob der 2. Oktober als Tag für die zweite Hofburg-Stichwahl zu halten ist oder ob der dritte Urnengang verschoben werden muss. Auch mit den Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen tauscht sich Sobotka zum anstehenden Prozedere noch heute aus.
Am Montag um Punkt 12 Uhr wird der Innenminister dann mit den Klubchefs beraten. Denn die Zeit drängt, es müssen jede Menge Vorkehrungen getroffen werden.
Hektische Beratungen
Drei Termine wurden laut STANDARD-Informationen am Sonntag diskutiert: der 27. November, der 4. Dezember oder der 11. Dezember standen zur Auswahl. Allerdings erschien auch ein Wahltermin im Jänner denkbar, nämlich dann, wenn man das Wählerregister wieder auf einen aktuellen Stand bringen und die Wahlverschiebung nicht bloß mit einer Verordnung festlegen, sondern mit einem Gesetz regeln will.
SPÖ will keinesfalls im Jänner wählen
Die SPÖ ist zwar für ein aktualisiertes Wählerregister, wie es auch Minister Sobotka anregt, will aber keinesfalls erst im Jänner wählen, sagt Klubchef Andreas Schieder im Gespräch mit dem STANDARD.
ÖVP will Wahlregister adaptieren
ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka spricht sich dafür aus, die Verschiebung der Wahl mit einem Gesetz und nicht nur mit einer Verordnung zu regeln. Lopatka ist auch dafür, das Wählerregister auf einen neuen Stand zu bringen, um möglichst vielen jungen Wähler, die eben erst 16 Jahre alt wurden und durch den alten Stichtag nicht wahlberechtigt gewesen wären, die Chance auf eine Stimmabgabe zu ermöglichen. Lopatka räumt im Gespräch mit dem STANDARD ein, dass diese Vorgangsweise dauert, auf einen konkreten Wahltermin will er sich aber nicht einlassen.
Eine Einschränkung der Wahlkarten, wie die FPÖ das fordert, komme für die ÖVP nicht in Frage. "Die Briefwahl ist unbedingt notwendig, damit möglichst viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, davon werden wir nicht abrücken", sagt Lopatka. Ziel der ÖVP sei eine möglichst hohe Wahlbeteiligung.
Die Zeit drängt
Der Zeitplan ist jedenfalls denkbar knapp: Am Dienstag soll die Neuregelung nicht nur durch den Ministerrat, sondern auch bereits im Parlament beschlossen und einem Ausschuss zugewiesen werden. Die Koalition will die Neuregelung auf eine möglichst breite Basis stellen, also jedenfalls die hinter den Kandidaten stehenden Parteien, die Grünen und die FPÖ einbinden.
Klubchefs verstimmt
In der SPÖ ist man jedenfalls verstimmt: Jetzt müsse das Parlament das Versagen der Verwaltung sanieren, ärgert sich Klubchef Schieder. Dass Innenminister Sobotka erst die Öffentlichkeit informiert und dann erst die Klubobleute zu sich lädt, sei ungeschickt, gerade auch weil man das Einvernehmen mit der FPÖ suchen müsse.
Bei der FPÖ hat man mit der Wahlverschiebung keine Freude, es werde aber nichts anderes übrig bleiben, als der Wahlverschiebung zuzustimmen, heißt es aus der Partei. Lieber würde man den 2. Oktober beibehalten, es sei allerdings klar, dass eine ordentliche und gesetzeskonforme Stimmabgabe gewährleistet sein müsse. Und das sei derzeit nicht der Fall. Auch wenn es in der FPÖ viele Ideen gibt, wie man auf eine Briefwahl verzichten könnte: mit Wahlurnen an Flughäfen und Bahnhöfen, einer Stimmabgabe in Botschaften und eigenen Wahllokalen für Schichtarbeiter. Die Wahlkarten seien eigentlich nur für den Notfall geplant, hält man in der FPÖ fest, dienten im derzeitigen Gebrauch aber offenbar nur der Bequemlichkeit.
Die FPÖ will in den kommenden Tagen auch die Frage von personellen Konsequenzen im Innenministerium stellen, "Österreich ist durch diese Pannen zur internationalen Lachnummer geworden", heißt es. Die Frage nach der politischen Verantwortung will übrigens auch die SPÖ stellen, aber erst wenn ein neuer Wahltermin feststehe.
Grüne für Ermächtigungsgesetz offen
Die Grünen sind angesichts der wahrscheinlichen Verschiebung der Hofburg-Wahl sowohl für eine Änderung der Verordnung für den Wahltag offen – als auch für ein Ermächtigungsgesetz für die Regierung, einen anderen Wahltag anzuordnen, wie Eva Glawischnig im STANDARD-Gespräch erklärt. In dieses Gesetz könnte auch gleich generellen Formalia für die Verschiebung einer Bundespräsidentenstichwahl festgeschrieben werden, wenn Komplikationen auftreten. Wie berichtet, ist der Fall des Falles derzeit in der Bundespräsidentenwahlordnung nicht festgeschrieben. Ebenfalls ein Anliegen der Grünen: Die Aktualisierung des Wählerverzeichnisses.
Angesichts der defekten Wahlkarten die Wahl ohne Briefwahl stattfinden zu lassen, wie von FPÖ-Kandidat Hofer am Freitag ins Spiel gebracht, qualifiziert Glawischnig als "seltsames Demokratieverständnis" – noch dazu, wo viele Menschen, wie Ärzte oder Krankenschwestern, am Sonntag arbeiten müssen und deswegen per Briefwahl von ihrem Recht Gebrauch machen.
Neos skeptisch bei Gesetz
Neos-Boss Matthias Strolz ist offen für die Verschiebung des Wahltermins, äußert im STANDARD-Gespräch aber Skepsis, die Verordnung in ein Gesetz zu gießen, denn: "Bei dem Tempo öffnet man bei einer schnellen Lösung womöglich zu weit das Türl für autoritäre Regime – etwa, indem dann bei jeder Kleinigkeit die Stichwahl angefochten werden kann und so der Wahlgang auch willentlich konterkariert werden kann."
Völlig außer Streit ist und bleibt für Strolz die Briefwahl – von kleinen Feinheiten abgesehen, bis wann die Karten eingelangt sein müssen. "In der Schweiz wählen 80 Prozent mit Wahlkarte." Diese Möglichkeit abzuschaffen, wie von der FPÖ angedacht, nennt Strolz "eine Zwangsmaßnahme. Am besten die Freiheitlichen streichen aus ihrem Namen das Wort ,freiheitlich'".
Team Stronach für 2. Oktober
Der Klubchef des Team Stronach, Robert Lugar, will am 2. Oktober festhalten. Für ihn gilt es nun eine "flexible Lösung" zu finden, denn auch ein neuer Wahltermin berge die Gefahr, dass es wieder zu Vorfällen etwa mit Wahlkarten kommt. "Und dann macht sich Österreich noch mehr zum Kasperl." Abschaffen will er die Briefwahl nicht, aber eine strenge Handhabe, wie vom Höchstgericht vorgesehen, wer per Wahlkarte wählen darf. Für Lugar sind dies nur Auslandsösterreicher, Bettlägrige und Menschen, die am Sonntag arbeiten. (Michael Völker, Nina Weißensteiner, 11.9. 2016)