Was tun, wenn sich Wahlkartenkuverts nicht zukleben lassen?

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Unter allen Beteiligten des peinlichen Wahlkarten-Fiaskos gibt es eine Person, die meiner Meinung nach Anerkennung verdient: Der Mitarbeiter des Innenministeriums, der Anrufern an der Telefon-Hotline den inoffiziellen Rat gab, bei nicht-klebenden Wahlkartenkuverts einfach unauffällig mit Uhu-Stic nachzuhelfen.

Dieser Rat war vernünftig und hilfreich. Ich hätte mich darüber als Betroffener gefreut oder hätte dies von mir aus gemacht. Es ist zwar nicht regelkonform, aber auch keine ernsthafte Manipulation: ein dummer mechanischer Fehler wird hier durch einen kleinen Eingriff korrigiert. Sollte das bisschen Klebstoff wider Erwarten auffallen, wäre die Stimme zu ungültig. Aber das ist immer noch besser als ein offenes Kuvert, das jedenfalls nicht zählen würde.

Andere wissen, wie man manipuliert

Wer hier gleich Wahlbetrug wittert, der sollte einmal ein paar hundert Kilometer nach Osten schauen, nach Moskau oder Minsk: Dort weiß man, wie man Wahlen manipuliert – und dies geschieht nicht mit Uhu-Stic.

Der Mitarbeiter (oder waren es mehrere?) hast sich auch als österreichischer Patriot erwiesen. Österreicher sind bekannt für ihre Improvisierungskünste, deshalb sind heimische Manager im Ausland gerne gesehen. In Deutschland löst ein unvorhergesehenes Ereignis oft eine Krise aus, in Österreich denkt man sich rasch eine kreative Lösung aus.

Flexibles, lebenswertes Österreich

Diese Flexibilität macht das Land lebenswert. "Vurschrift ist Vurschrift" wird zwar oft gesagt, aber in der Praxis drücken Polizisten und andere Beamte oft ein Auge zu oder lösen ein Problem abseits des offiziellen Regelbuches.

Das hat gute und schlechte Seiten: Für einen Routine-Eingriff würde ich mich lieber in ein deutsches oder Schweizer Krankenhaus legen. Da ist die Gefahr, dass etwas Wichtiges vergessen wird, geringer. Aber wenn es wirklich ernst wird, dann fühle ich mich bei erfahrenen österreichischen Ärzten sehr gut aufgehoben.

I-Tüpferl-Reiten als Staatsräson

Die öffentliche Empörung über die Empfehlung aus dem Innenministerium und die berechtigte Sorge, dass der Mitarbeiter mit Konsequenzen rechnen muss, sind ein Zeichen, dass diese österreichische Mischung aus Pragmatismus und Schlampigkeit gefährdet ist. Seit der Verfassungsgerichtshof das I-Tüpferl-Reiten zur Staatsräson erklärt hat, müssen sich zumindest bei Wahlen alle sklavisch an jede noch so unpraktische Vorschrift halten.

Dabei ist das, was die Richter verlangen, nämlich eine fehlerfreie Wahl, die keinen Raum für Zweifel lässt, unerfüllbar. Es gibt kein System, in dem nicht Fehler auftreten, die dann irgendwie repariert werden müssen. Auch die Verfassung kennt das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs. Deshalb ist ein wenig Uhu einem neuerlichen Wahlgang eindeutig vorzuziehen.

FPÖ: Klebstoff-Affäre ist inszeniert

Aber in einer Zeit, in der durch Facebook und Co. das Misstrauen gegenüber allen Institutionen wächst, und dieses von skrupellosen Populisten weiter geschürt wird (siehe die absurde Unterstellung von Norbert Hofer und Heinz-Christian Strache, die Klebstoffaffäre sei von den Regierungsparteien inszeniert), gibt es keinen Platz mehr für Kulanz, Improvisation und gesunden Menschenverstand.

Jedes Gesetz, jede Vorschrift muss zu hundert Prozent erfüllt werden. Das bekommen auch Unternehmen zu spüren, denen Arbeitsinspektoren und anderen Behörden die absurdesten Strafen aufbrummen, weil sie einen kleinen Fehler gemacht haben – und sei es einen Mitarbeiter elf Minuten zu spät bei der Sozialversicherung angemeldet haben. Das dahinter keine Absicht zum Sozialbetrug lag, darf keine Rolle spielen.

Deshalb wird irgendwann – heuer oder erst nächstes Jahr – eine perfekte, fehlerlose Stichwahl für das Bundespräsidentenamt stattfinden. Aber ein Teil der österreichischen Kultur geht dabei verloren – wahrscheinlich unwiderruflich. (Eric Frey, 11.9.2016)