Das Ringen, das heute Nacht zu einer neuen russisch-amerikanischen Übereinkunft über Syrien führte, hat sich über Monate hingezogen – und US-Außenminister John Kerry musste nicht nur mit den Russen, sondern auch bei sich zu Hause, in den USA, verhandeln: Denn im US-Verteidigungsestablishment waren und sind nicht alle von der Aussicht erfreut, dass sich Washington und Moskau in näherer Zukunft in Syrien militärisch abstimmen sollen. Aber ein Argument für dieses Experiment ist wohl so zwingend, dass man es wagen muss. Dieses Argument besteht aus einem Wort: Aleppo. Wenn die Pläne aufgehen, dann wird es für das syrische Regime keine Rechtfertigung mehr geben, die dort eingeschlossenen Zivilisten zu bombardieren.

Es lohnt sich, das Pressestatement Kerrys und seines russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, das sie in der Nacht in Genf abgaben, zu lesen, um die Komplexität des Vorhabens zu begreifen. Es geht nicht mehr nur um die theoretische Diskussion darüber, wer "Rebell" und wer "Terrorist" ist, es geht um konkrete Grenzziehungen am Boden, die den Krieg gegen die einen verbieten und gegen die anderen erlauben sollen. Am Tag vor der 15. Wiederkehr von 9/11 machen die USA damit auch klar, dass sie die Nusra-Front, die sich in Fatah-Front umbenannt hat und in den anderen Rebellengruppen aufzugehen versucht – oder besser: die die anderen schlucken will –, als Al-Kaida ansehen und weiter bekämpfen werden. Kerry betonte denn auch, dass der Kampf gegen die Nusra-Front keine Konzession Moskau gegenüber sei, sondern im eigenen Interesse der USA. Dass sie dabei militärisch mit Russland zusammenarbeiten wollen, ist angesichts des russisch-amerikanischen Verhältnisses überall anders in der Welt wirklich erstaunlich.

Aber wird das alles klappen? Russland soll seinen Klienten, das Assad-Regime, beeinflussen und die USA die Rebellen und jene, die die Rebellen unterstützen. Auch Moskau hat Assad – der ja auch vom Iran und der libanesischen Hisbollah unterstützt wird – nicht völlig unter Kontrolle, aber auf der anderen Seite ist es noch schwieriger.

Die USA, die in Syrien seit der türkischen Intervention gegen die von ihnen unterstützten syrischen Kurden noch schwächer aussehen als sonst, haben eine Vielzahl an Partnern, die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen. Die USA brauchen die Hilfe der Türkei und Saudi-Arabiens, um die Rebellen zu überzeugen – und das US-Verhältnis zu beiden Ländern ist derzeit, gelinde gesagt, schwierig. Die syrische Exilopposition hat schon im Vorfeld des Kerry-Lawrow-Abkommens ablehnende Signale ausgeschickt. Es geht ja nicht nur um die Nusra/Fatah-Front, sondern auch um jene Gruppen, die die Brücke zwischen dem extremen und dem gemäßigteren Spektrum der Rebellen schlagen – und die militärisch stark sind.

Es wird also sehr schwierig werden, keine Frage: Aber erstmals seit langem liegt wieder eine Arbeitsbasis für Syrien auf dem Tisch. Selbst wenn nur der erste Teil, eine Kampfberuhigung und humanitäre Hilfe für die in Aleppo eingeschlossenen Menschen durchgesetzt würde, wäre das um vieles besser als nichts. (Gudrun Harrer, 10.9.2016)