Der in seinem Land omnipräsente Diktator Kim Jong-un erklärte Nordkorea zur "Nuklearen Großmacht".

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Das chinesische Umweltministerium brauchte nur fünf Minuten, um nach Nordkoreas Atomtest Strahlenalarm auszulösen. Um 8.30 Uhr Ortszeit hatten Meteorologen ein starkes künstliches Erdbeben gemessen. Um 8.35 Uhr gab Peking Alarmstufe zwei, bei der Strahlenmessstationen an den Grenzen aktiviert wurden. Sie zeigten keine erhöhten Werte an.

Nordkoreas Fernsehen sprach Freitagmittag vom Test eines Atomsprengkopfes und jubelte über einen Durchbruch. Auf Langstreckenraketen montiert, könne man nun mit Atomsprengköpfen die USA direkt bedrohen. Südkoreas Militär bestätigte, dass es die bisher "stärkste Nuklearexplosion" von den seit 2006 beobachteten fünf unterirdischen Atomtests Nordkoreas war.

Chinas Außenministerium verurteilte den Atomtest scharf, doch man bestand darauf, das Problem weiter nur über die Sechs-Parteien-Gespräche lösen zu wollen. Selbst linientreue Zeitungen wie die Global Times halten es für unmöglich, dass sich Nordkorea seine Atomwaffen abverhandeln lässt. Sie schrieb, dass Pjöngjang am Freitag seinen Gründungstag feierte und sich zur "nuklearen Großmacht" ausrief. International hagelte es Protest – von der EU über die USA bis hin zu Russland, Japan und die IAEA. Der UN-Sicherheitsrat berief eine Sondersitzung ein.

Intensivierte Kontakte

Trotz der Probleme mit dem unberechenbaren Regime ist China bisher die einzige Schutzmacht für Nordkorea geblieben. In jüngster Zeit hatte Peking seine Kontakte zu Nordkorea sogar auf allen Ebenen intensiviert. Nach jeder neuen Provokation des unter verschärften UN-Sanktionen stehenden Regimes von Kim Jong-un warnte Peking die USA, Südkorea und Japan vor zu starken Gegenreaktionen – obwohl es die UN-Sanktionen mit unterstützt.

Es gibt viele Gründe für das Lavieren, das Kim die Zeit verschaffte, seine Atomwaffen auszubauen. Neben der Angst vor dem Zusammenbruch des Regimes war es auch die Entscheidung der USA und Südkoreas, ein Raketenabwehrsystem (Thaad) gegen Nordkorea zu installieren. Das aber würde Chinas strategische Abschreckungskapazitäten deutlich entwerten.

Zhang Liangui, Nordkorea-Experte an Chinas Parteihochschule, sieht eine "brisante Lage". Kim habe darauf gesetzt, dass "ihm von der US-Administration so kurz vor der Neuwahl keine Gefahr droht. Bevor ein neuer Präsident handlungsfähig ist, will er seinen Staat als Atommacht unangreifbar machen", sagte er dem STANDARD. Kim setze zugleich auf eine entscheidungsunfähige Pekinger Politik. Vor dem Hintergrund des Raketenschilds Thaad gebe es dort zu viele Stimmen, die in Kims Provokationen einen Vorteil für China sehen, solange sie gegen die USA gerichtet sind. Das sei "völlig falsch. Auch für uns wird sein Atomtest zur Bedrohung." Noch mehr gelte das für die USA. "Dort wächst der Druck, trotz Wahlen, ihn rasch zu stoppen."

Pekings Führung war erst kürzlich beim G20-Gipfel in Hangzhou durch Pjöngjangs provokante Raketentests brüskiert worden. Man wiegelte ab. Nun wird China neuerlich herausgefordert: Das Versuchsgebiet Punggye-ri liegt, wie schon beim Test im Jänner, weniger als hundert Kilometer von China entfernt.

Freitagmorgen berichteten Menschen aus Yanqi, dass bei ihnen die Möbel gewackelt hätten, meldete die Website Tianqi. Lehrer ließen Schulkinder ins Freie laufen. Ähnliche Berichte hatte es schon im Jänner aus Yanqi, Huichun und Changbai gegeben. Die Nachrichten verschwanden schnell. Peking wollte die Bevölkerung nicht beunruhigen: durch Verschweigen. (Johnny Erling aus Peking, 10.9.2016)