Schadhafte Briefwahlkuverts befördern den Wunsch nach einer Wahlverschiebung. Das ist allerdings nicht so einfach.

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Frage: Warum steht die Verschiebung der Bundespräsidenten-Stichwahl am 2. Oktober im Raum?

Antwort: Weil tagtäglich neue schadhafte Wahlkarten aufgetaucht sind – zuletzt immer mehr Kuverts mit defektem Klebestreifen, die sich über Nacht öffneten. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) lässt nun bis voraussichtlich Montag prüfen, ob eine ordnungsgemäße Durchführung des Urnengangs aufgrund "eines augenscheinlichen Produktionsfehlers" überhaupt noch möglich ist.

Frage: Wieso verschiebt man die Stichwahl nicht sofort?

Antwort: Da Österreich damit rechtliches Neuland betritt. Denn im Bundespräsidentenwahlgesetz ist eine Verschiebung der Stichwahl gar nicht vorgesehen. Explizit geregelt ist bloß eine mögliche Verschiebung des ersten Wahlganges – und auch das nur für den Fall, dass ein Kandidat vor dem Wahltermin stirbt. Dann kann die Wahl um sechs bis zehn Wochen später stattfinden. Bezogen auf den aktuellen Wahltermin für die Präsidentenwahl am 2. Oktober würde also der Zeitraum zwischen 13. November und 11. Dezember für einen neuen Wahltermin infrage kommen.

Frage: Tun sich sonst noch Hürden auf?

Antwort: Definitiv. Je später die Wahl stattfindet, desto stärker klafft das formale Wählerverzeichnis, also jenes Register, in dem die wahlberechtigten Personen angeführt sind, und die Realität auseinander. Denn es dürfen nur jene Personen ihre Stimme abgeben, die auch schon am 22. Mai votiert haben. Salopp gesagt: Seitdem starben mittlerweile etliche registrierte Wähler, während immer mehr Staatsbürger das 16. Lebensjahr erreicht haben, die somit eigentlich wahlberechtigt wären – das betrifft geschätzte 33.000 junge Menschen. "Wenn man die Wahl also verschiebt", erklärt Verfassungsrechtler Heinz Mayer, "sollte dieses Problem auch gleich gelöst werden." Er plädiert damit für ein Adaptieren des Wählerverzeichnisses.

Frage: Kann die Regierung überhaupt einen neuen Termin anordnen?

Antwort: Da mit jeder defekten Wahlkarte die Gefahr einer erneuten Anfechtung der Wahl beim Verfassungsgerichtshof steigt, halten Verfassungsjurist Heinz Mayer, der übrigens Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen unterstützt, und sein Kollege Theo Öhlinger eine Verschiebung der Wahl für möglich – und zwar durch eine bloße Änderung der Wahltagsverordnung durch die Bundesregierung –, wobei Öhlinger bei der aktuellen Dimension an fehlerhaften Kuverts noch den Austausch defekter Wahlkarten für möglich hält.

Frage: Welche Formalitäten stehen noch an?

Antwort: Werner Zögernitz, Präsident des Instituts für Parlamentarismus, plädiert dafür, eine Verschiebung auch gleich rechtlich abzusichern. Um die Voraussetzungen für die Verschiebung in den Verfassungsrang zu hieven, bräuchte es zumindest eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat – ein fraktionsübergreifender Konsens wäre freilich noch besser.

Frage: Wenn die Wahl doch am 2. Oktober durchgeführt wird: Kann ein Wahlberechtigter mit defekter Wahlkarte vor dem Höchstgericht Einspruch erheben?

Antwort: Keine Chance. Bürger haben nicht die Möglichkeit, eine Wahl anzufechten. Eines könnten jene, bei denen sich der Klebestreifen der Wahlkarte löst, nachdem sie bereits unterschrieben haben, dennoch tun: "Diesen Bürgern steht offen, noch einmal eine Wahlkarte zu beantragen, was vermutlich abgelehnt wird. Dann kann man gegen diese Entscheidung vorgehen", erläutert Karl Weber, Leiter des Instituts für Öffentliches Recht der Uni Wien.

Frage: Wer kann die Wahl dann anfechten?

Antwort: Wie schon nach der ersten Stichwahl vorexerziert: nur die Zustellungsbevollmächtigten der Kandidaten. Das ist also FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache für den blauen Hofburg-Kandidaten Norbert Hofer. Oder aber Robert Luschnik, Geschäftsführer des grünen Klubs, für Präsidentschaftsanwärter Van der Bellen, einst Chef der Grünen.

Frage: Welche Gründe können sie geltend machen?

Antwort: Das Gesetz lässt diesbezüglich viel Spielraum: "Eine Wahl kann im Grunde wegen jeglicher Rechtswidrigkeit angefochten werden, sofern sie von Einfluss auf das Wahlergebnis sein könnte", erklärt Experte Weber. Bei der Aufhebung der ersten Stichwahl hat der Verfassungsgerichtshof angeführt, dass der Grundsatz der freien Wahl verletzt wurde – unter anderem wegen Unkorrektheiten rund um die Auszählung der Wahlkarten. Ebenfalls ausschlaggebend für die Aufhebung: dass durch die Weitergabe der ersten Hochrechnungen an Medien eine Wahlbeeinflussung hätte stattfinden können.

Frage: Ab wie vielen beschädigten Kuverts wird es also kritisch?

Antwort: Weber verweist darauf, dass das Gesetz keine Auskunft über eine Grenze gibt: "Aber theoretisch kann jede Stimme wahlentscheidend sein. Partiell wurden Wahlen auch schon aufgrund einer einzigen Stimme, deretwegen der es Probleme gab, wiederholt."

Frage: Wie viele Wahlkarten wurden bei der ersten Stichwahl ausgestellt?

Antwort: Exakt 885.437 Stück wurden beantragt und verschickt, davon sind 38.931 Wahlkarten an im Ausland weilende Wähler gegangen. Fast 760.000 Briefwahlstimmen wurden im Mai abgegeben, davon entfielen 282.902 auf Hofer und 457.437 auf Van der Bellen. Der Professor lag am letzten Stichwahlsonntag noch hinter dem FPÖ-Kandidaten, erst durch die Auszählung der Briefwahlstimmen konnte er sich Platz eins sichern – aber nur für kurze Zeit. (Marie-Theres Egyed, Katharina Mittelstaedt, Nina Weißensteiner, 9.9.2016)