Mechaniker verrechnen Behinderten mehr: Nicht, weil sie sie nicht mögen, sondern weil sie ihre mangelnde Mobilität ausnützen wollen, sagt der Ökonom John List.

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Die Arbeiten von John List prägen das Verständnis von Diskriminierung. Er war auf Einladung des Behavioral Economics Network in Wien.

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Wien – Wer in einem Rollstuhl zum Mechaniker kommt und sein Auto reparieren lassen möchte, bekommt eine höhere Rechnung als jemand ohne Gehbehinderung. Das haben die Studien des US-amerikanischen Ökonomen John List gezeigt. Im STANDARD-Interview erklärt List, einer der renommiertesten Verhaltensökonomen der Welt, warum das so ist. Ist es schlicht eine Abneigung gegenüber Behinderten?

Nein. Seine Experimente zeigen, dass Mechaniker versuchen, mehr Geld herauszuholen. Wenn Rollstuhlfahrer angeben, sie würden auch noch zwei weitere Angebote einholen, dann würden sie keinen Preisaufschlag gegenüber anderen Menschen erhalten. Mechaniker preisen also ein, dass sich Rollstuhlfahrer weniger umschauen, weil es für sie mühsamer ist. Die Mechanismen hinter Diskriminierung zu verstehen sei für die Politik enorm wichtig, sagt der Ökonom. Seine Arbeiten, für die er als Anwärter für einen Wirtschaftsnobelpreis gilt, tragen maßgeblich dazu bei.

STANDARD: In den USA werden Ihre Erkenntnisse angewandt, um Lehrer besser zu motivieren. Wie funktioniert das?

List: Ganz grundsätzlich ist es so, dass vielen Menschen Verluste mehr Schmerzen bereiten, als Gewinne sie erfreuen. Wir schätzen also 100 Dollar, die wir gewinnen könnten, weniger, als wir 100 Dollar, die wir schon haben, verlieren möchten. Das kann man sich zunutze machen. Wir zahlen in einigen Schulen den Lehrern im Vorhinein einen Bonus aus. Wenn die Schüler bestimmte Ziele nicht erreichen, müssen sie ihn zurückzahlen. Die Lehrer strengen sich dann wirklich mehr an, weil sie das Geld auf keinen Fall verlieren wollen.

STANDARD: Sie haben mit der Erforschung des Tauschmarkts für Baseball-Sammelkarten begonnen.

List: Genau. Das Konzept der Verlustaversion gibt es schon länger. Als ich selber studiert habe, wollte ich wissen, ob die Theorien, die wir da lernen, auch mit der echten Welt in Einklang stehen. Ökonomen arbeiten viel mit Laborexperimenten. Ich habe meine Professoren gefragt, ob jemand ein Feldexperiment mit mir machen möchte. Niemand hielt das für eine gute Idee. Daher wusste ich, dass es eine war. Meine Forschung hat dann ergeben, dass Baseballkarten, die wir einmal besitzen, einen Extrawert bekommen.

STANDARD: Sie haben noch etwas anderes herausgefunden.

List: Ja, nämlich dass die Verlustaversion mit zunehmender Erfahrung verschwindet. Streng ökonomisch ist sie irrational, mit der Zeit werden die Teilnehmer an den Märkten aber rational. Ich habe entdeckt, dass naive und unerfahrene Sammler von Baseballkarten diese Fehler machen. Obwohl ihnen ein guter Preis geboten wurde, wollten sie nicht so wertvolle Karten oft nicht verkaufen. Wenn sie aber länger dabei sind, dann fällt das weg. Das ist in vielen Bereichen so. Zu Beginn werden auch Aktien viel zu lange gehalten und nicht verkauft. Später legen Händler das ab. Erfahrende Akteure verhalten sich auf Märkten also so ähnlich, wie das die Standardökonomie unterstellt.

STANDARD: Ihre Lehrer sollten dann also auch mit der Zeit ihre Angst vor Verlusten ablegen, oder?

List: Ja, aber dazu braucht es einiges an Erfahrung. Derzeit ist das noch nicht der Fall. Wenn man ein paar Mal seinen Bonus zurückgezahlt hat, merkt man wahrscheinlich, dass das gar nicht so schlimm ist. Ich schätze, dass das in fünf oder sechs Jahren passieren wird. Dann brauchen wir neue Tricks.

STANDARD: Sie haben auch erforscht, warum Frauen seltener Risiken eingehen und den Wettbewerb eher scheuen als Männer.

List: Ich habe Craigslist dazu benutzt, um hunderte Stellen auszuschreiben. Einmal war der Stundenlohn fix bei zwölf Dollar, ein anderes Mal betrug er zehn Dollar mit einem potenziellen Bonus von sechs Dollar pro Stunde, wenn man besser ist als andere. Frauen haben sich für die flexibel entlohnten Stellen viel seltener beworben als Männer. Jetzt stellt sich aber noch die Frage, warum Frauen so handeln.

STANDARD: Ob ihr Verhalten also angeboren oder anerzogen ist.

List: Auf der Suche nach einer Antwort haben wir zwei völlig unterschiedliche Gesellschaften besucht. Einmal die Massai in Tansania, eine brutale Gemeinschaft für Frauen. Fragt man einen Mann, was er besitzt, sagt er: acht Rinder, fünf Schafe, vier Frauen. Dort haben wir ganz simple Laborexperimente durchgeführt. Die Männer haben sich, was ihre Risikoneigung und den Drang nach Wettbewerb betrifft, sehr ähnlich verhalten wie Männer in den USA und in Westeuropa.

STANDARD: Dann war Indien dran.

List: Dort haben wir die Khasi besucht, eine der vier bekannten matriarchalen Gesellschaften auf der Welt. Wenn man dort an ein Haus klopft, macht ein Mann die Tür auf. Er bringt dich zur Frau, die mit dir die wichtigen Dinge bespricht. Er sitzt dabei in der Ecke und sagt kein Wort. Die Tochter geht in die Schule, nicht der Sohn. Dort verhalten sich die Frauen ähnlich riskant wie Männer bei uns in den USA. Männliche Khasi sind hingegen so zurückhaltend wie Frauen bei uns. Das zeigt die Macht der Sozialisierung.

STANDARD: Sie haben auch das Feld der Diskriminierung geprägt.

List: Auf Märkten wird heute vor allem diskriminiert, weil man damit mehr Geld macht, nicht weil bestimmte Gruppen wie Frauen oder Schwarze einfach nicht gemocht werden. Ein Beispiel: Frauen sind weniger harte Verhandler. Wenn man jetzt mit einer Frau verhandelt, weiß man nicht, ob sie wirklich so ist, aber in der Tendenz ist es so. Man ist also zu allen aggressiver, weil man so mehr herausholen kann. Ich mache das also nicht, weil ich Frauen nicht mag, sondern weil ich profitiere.

STANDARD: Was lernen Sie daraus?

List: Es gibt natürlich auch normale Diskriminierung, aber die verschiedenen Gründe für diskriminierendes Verhalten zu kennen ist wichtig. Meine Forschung zeigt, dass Rollstuhlfahrer beim Mechaniker mehr zahlen müssen. Wenn sie aber sagen, sie holen noch zwei Angebote ein, ist das nicht mehr so. Sie werden also diskriminiert, weil der Mechaniker glaubt, es ist für sie mühsamer, sich umzuschauen. (Andreas Sator, 9.9.2016)