Die Wahlkarten in der Druckerei. Zu Hause löste sich der Klebestreifen des Kuverts bei einigen Wählen nach der Stimmabgabe.

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Wien – Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) prüft eine Verschiebung der Stichwahl um das Bundespräsidentenamt. "Wenn eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl aufgrund eines augenscheinlichen Produktionsfehlers nicht möglich ist, dann ist es meine Aufgabe als oberster Leiter der Wahlbehörde, eine Verschiebung umgehend zu prüfen", erklärte Sobotka. Für die technischen Unzulänglichkeiten könne er sich bei der österreichischen Bevölkerung nur entschuldigen. Anfang nächster Woche will der Innenminister Details bekanntgeben.

Die SPÖ ist für die Verschiebung der Bundespräsidentenwahl offen. "Eine Verschiebung ist natürlich das letzte Mittel, gar keine Frage. Aber wenn das notwendig ist, muss man auch darüber diskutieren und das prüfen", sagte Bundeskanzler Christian Kern am Freitag im Ö1-"Mittagsjournal". Klubchef Andreas Schieder befürchtet, dass eine verfassungskonforme Durchführung derzeit "schwer möglich ist".

Weitere Komplikationen

Bei den Wahlkarten waren zuvor weitere Komplikationen aufgetaucht. Der bereits länger bekannte Klebefehler kann auch zeitverzögert auftreten, womit eine vermeintlich korrekt abgegebene Stimme ungültig wird.

Eine betroffene Wählerin schilderte das Problem: Ihre Wahlkarte wurde am Dienstag zugestellt. Gewarnt durch die Medienberichte über die bekannten Mängel, überprüfte sie den Zustand der Kanten: Der Kleber hielt. Die Wienerin füllte den Wahlzettel aus, verschloss das Kuvert und unterschrieb es. Am Mittwoch aber war die Wahlkarte "auf einer Seite offen", schilderte sie. Am Donnerstag hatte sich auch die zweite Seite gelöst. Ihre Stimme ist gemäß der Darstellung des Innenministeriums somit verwirkt, denn laut Gesetz darf man seine Stimme nur einmal abgeben – und das hat die Frau getan, allerdings mit einer ungültigen Wahlkarte.

Keine Sicherheit bei Klebefehler

So kann praktisch kein Wahlkartenwähler sichergehen, dass seine Stimme wirklich bei der Wahl zählt. Selbst wenn die Karte in Ordnung ist, wenn man sie in den Briefkasten wirft oder bei der Wahlbehörde abgibt, könnte der Klebefehler danach immer noch auftreten.

Im Innenministerium ist man angesichts dieser Entwicklung ratlos. Seit Mittwochabend wurden mehrere solcher Fälle ans Ministerium herangetragen. Man arbeite gemeinsam mit der Druckerei "auf Hochdruck" an der Ursachenforschung. "Wir hoffen, dass diese Fälle sehr selten sind und die überwiegende Zahl der Wahlkarten integer und technisch einwandfrei ist", sagt Robert Stein, Wahlleiter im Innenministerium, zum STANDARD. Die Zahl der neu aufgetauchten fehlerhaften Karten beziffert er mit "im unteren zweistelligen Bereich."

Für Verfassungsrechtler steht allerdings schon jetzt fest, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Theo Öhlinger spricht von einer "fatalen Situation": Wenn die schadhaften Kuverts anzahlmäßig "in die Hunderte gingen", müsse ein Tausch ermöglicht werden – es könne nicht sein – wie es das Innenressort bisher signalisiert habe –, dass Wahlkartenwähler, deren Kuvert nach der Stimmabgabe auf, damit quasi unglücklicherweise ihr Stimmrecht verloren haben, denn: "Prinzipiell gibt es das Recht auf eine gültige Stimmabgabe." Gingen die schadhaften Kuverts gar "in die Tausende", so Öhlinger, sei eine korrekte Wahl quasi nicht durchführbar – und dann stünde die Verschiebung des Wahltermins im Raum, "auch wenn es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt".

Für Verschiebung "keine Handhabe"

Auch das Innenministerium war der Ansicht, dass eine Verschiebung der Präsidentenwahl nicht möglich sei. "Es gibt keine rechtliche Handhabe, die Wahl zu verschieben", sagte Stein dem Sender ATV noch Donnerstagabend.

Für den Verfassungsjuristen Heinz Mayer, auch offizieller Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen, steht fest, dass der dritte Urnengang schon aus jetziger Sicht nicht am 2. Oktober stattfinden sollte: "Ich frage mich, warum die Wahl nicht verschoben wird. Der Wahltermin ist durch die Bundesregierung angeordnet – und es spricht nichts dagegen, diese Verordnung zu ändern." Mit der Annahme, dass es noch mehrere Wahlkartenkuverts geben müsse, die nicht ordnungsgemäß kleben, "rennt man jedenfalls sehenden Auges in ein Riesenproblem. Denn das ist womöglich ein Systemfehler, man kann nicht ausschließen, dass es ein paar tausend fehlerhafte Wahlkarten gibt – und das bedeutet ein enormes Risiko für eine erneute Wahlanfechtung."

Martin Glier, Sprecher von Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer (FPÖ), der zuletzt eine neuerliche Anfechtung der Wahl ausgeschlossen hat, will derzeit noch den Ball flachhalten. Glier sagt: "Wir gehen davon aus, dass das Ganze bis zum Wahltag in Ordnung gebracht ist – denn alles andere wäre für das Innenministerium eine Blamage, und wir gehen davon aus, dass das Ressort nach seiner ersten Blamage bei der Stichwahl kein Interesse daran hat, eine neuerliche zu erleben."

Grüne: "Nicht abschrecken lassen"

Van der Bellens Wahlkampfleiter Lothar Lockl appellierte an die Wähler, sich "nicht abschrecken zu lassen" und vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. In Richtung Innenressort sagte Lockl: "Von den zuständigen Behörden erwarten wir, dass diese Wahl korrekt durchgeführt wird." Vor dem ersten Wahlgang am 22. April waren 641.975 Wahlkarten ausgegeben worden, für die darauffolgende Stichwahl am 20. Mai sogar 885.437.

In der "Zeit im Bild 2" sagte Van der Bellen am Donnerstagabend, er erwarte sich eine Klärung von den zuständigen Behörden bis nächste Woche. "Jeder Wähler und jede Wählerin hat das Recht, dass die gültig abgegebene Stimme auch als gültig gezählt wird. Das ist ja kein Spaß, das Ganze." Für die Verschiebung der Wahl plädierte Van der Bellen nicht. Vorläufig denke er, dass es auch im Interesse der zuständigen Behörden liege, dass die Wahl am 2. Oktober ordnungsgemäß stattfinden könne.

Schadhafte Wahlkarten im Land Salzburg

Auch in Salzburg sind erste schadhafte Wahlkarten aufgetaucht. In Zell am See wurden offenbar zumindest drei Kuverts für Wahlkarten mit Mängeln ausgegeben. Eines wurde bereits zurückgegeben, die beiden anderen wurden Auslandsösterreichern zugestellt und seien bereits auf dem Postweg zurück in den Pinzgau, berichtete der ORF Salzburg am Donnerstagnachmittag. (nw, pm, völ, red, APA, 9.9.2016)