Die Briten kriegen den angekündigten Brexit langsam zu spüren.

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London – Großbritannien hat die Brexit-Entscheidung wirtschaftlich nicht so gut weggesteckt wie zunächst erhofft. "Einige Daten sind in jüngster Zeit etwas zu positiv bewertet worden. Das Bild ist eher gemischt", warnte das ehemalige Notenbank-Mitglied Charlie Bean am Mittwoch in London. Die Industrieproduktion ging im Juli mit 0,9 Prozent so stark zurück wie seit einem Jahr nicht mehr.

Zudem fielen die Häuserpreise im August den zweiten Monat in Folge, wie der Baufinanzierer Halifax mitteilte. Die Daten nähren die Sorge, dass die Wirtschaft nach dem EU-Austrittsvotum vom 23. Juni auf Talfahrt gehen könnte. Vom Bau und den Dienstleistern waren zuletzt hingegen eher positive Signale gekommen. Der Finanzstandort London muss sich laut Bean jedoch auf einen Bedeutungsverlust gefasst machen.

Clearing gefährdet

Nach einem EU-Ausstieg stehe insbesondere die Abwicklung von Euro-Derivategeschäften – das sogenannte Clearing – zur Disposition: "Ich denke, wir werden es sicherlich verlieren", sagte der Ex-Währungshüter vor einem Oberhaus-Ausschuss. Finanzplätze wie Paris und Frankfurt gelten als erste Anwärter, die Rolle Londons zu übernehmen. Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) hat deutlich gemacht, dass sich die Main-Metropole Frankfurt um das Clearing bemühen will. Auch Frankreichs Präsident Francois Hollande ist für eine Verlagerung dieses Bereichs in die Eurozone, falls Großbritannien der EU den Rücken kehren sollte.

Zumindest der Status als wichtigster Standort für die Vermögensverwaltung in Europa dürfte London erhalten bleiben, wie der Schweizerische Fonds- und Assetmanagementverband (SFAMA) prophezeit. Die Metropole an der Themse werde mit einem Marktanteil von 40 Prozent wohl der Platzhirsch bleiben.

Zugang zum Binnenmarkt ungeklärt

Ob die Briten weiter Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit seinem zollfreien Warenverkehr bekommen, muss in Austrittsverhandlungen geklärt werden. Premierministerin Theresa May ist derzeit dabei, die Risiken des Brexit zu bewerten und dementsprechend die Verhandlungsstrategie vorzubereiten. Die konservative Politikerin betonte, sie wolle die Aussichten nüchtern bewerten und nichts übers Knie brechen. Keinesfalls werde sie ihre Strategie vorab offenbaren.

Für das Londoner Finanzzentrum ist insbesondere der sogenannte EU-Pass wichtig. Dieser ermöglicht Banken den ungehinderten Zugang zu den Kapitalmärkten der EU. Finanzminister Philip Hammond will nach eigenen Worten bei den Verhandlungen das Beste herausholen. London müsse seine Führungsrolle als Finanzplatz behalten. Die britischen Geldhäuser streben einen gleitenden Übergang an: "Wir denken, dass es in irgendeiner Form eine Übergangsregelung geben sollte", sagte Bankenverbandschef Anthony Browne. Damit werde Druck von den Finanzinstituten genommen. Dann müssten sie nicht so rasch entscheiden, ob sie Geschäftsfelder von der Insel auf das europäische Festland verlegen sollten. (APA, Reuters, 7.9.2016)