Wien – "Du Scheißausländer, warum rauchst du hier?", soll die Pensionistin gebrüllt haben, als sie Erdem K. im Stiegenhaus der Wohnhausanlage in Wien-Favoriten mit einer Zigarette sah. Bald darauf lebte sie nicht mehr – rund eine Stunde lang quälte sie der 19-Jährige in ihrer Wohnung, ehe er ihr die Kehle durchschnitt.

Vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Norbert Gerstberger bekennt sich der Unbescholtene zunächst im Sinne der Anklage des Mordes schuldig. Nur um am Ende seiner Befragung zu sagen: "Euer Ehren, ich erkläre mich nicht zurechnungsfähig."

Der Prozess, der sich vor dem vollen Saal entfaltet, ist einer von der übleren Sorte. Am Tattag, dem 15. Jänner, hatte K. seinen Bruder besucht. Bei einer Zigarettenpause ereignete sich der Rauchkonflikt, der Angeklagte ging danach aber wieder zurück zu seinem Blutsverwandten.

Mit Zeitungen geklopft

Als der Österreicher mit türkischen Eltern von dort aufbrach, verhielt er sich gelinde gesagt seltsam. Er nahm Gratiszeitungen in die Hand und klopfte wahllos an Türen. "Es hatte einen Terroranschlag in der Türkei gegeben, ich wollte den Leuten sagen, dass sie nicht alles glauben sollen, was in den Zeitungen steht."

Das 72-jährige Opfer suchte er dann aber gezielt auf. Er klopfte gegen 15 Uhr an die Tür, sie drohte zunächst damit, die Polizei und ihren Bruder zu rufen, sagt der Angeklagte. "Ich wollte ihr zeigen, dass ich in die Hand äschere und nicht das Stiegenhaus verschmutze", erzählt der Lehrling.

Die Frau öffnete doch die Tür, der Streit ging weiter. "Auf einmal versetzte ich ihr einen Faustschlag ins Gesicht." Warum, kann er sich nicht erklären. Das Opfer taumelte zurück, schrie um Hilfe. Das hörte eine Nachbarin, die auch die Polizei alarmierte. Eine Streife kam, da nichts mehr zu hören war, fuhr sie wieder.

"Ein Martyrium" durchlebt

Vielleicht hätten die Beamten das Leben der Pensionisten noch retten können. Sie durchlebte eine Stunde lang "ein Martyrium", wie es Staatsanwältin Tatjana Spitzer-Edl beschreibt.

K. schlug und trat sein Opfer, bewarf die Frau mit Blumentöpfen, sie hatte Verbrennungen von einem Bügeleisen, mehrere Stichwunden, er wollte ihr auch das Genick brechen. All das schilderte er nach seiner Verhaftung minutiös der Polizei. Auch den letzten Dialog. "Jetzt bin ich tot", sagte die Verletzte. "Ja, jetzt sterben Sie langsam", lautete seine Antwort. "Das ist doch unglaublich sadistisch", stellt der Vorsitzende fest. Der unter Einfluss von Psychopharmaka stehende Angeklagte schweigt.

Seine Verteidigerin Astrid Wagner weist auf das – nun ja – seltsame Nachtatverhalten hin. Die Hausschuhe des Opfers wurden im Kühlschrank gefunden, K. legte seinen Schlüssel und Ausweise auf den Küchentisch, ging duschen und danach bis in die frühen Morgenstunden in die Disco.

Verwandte entdeckten Verbrechen

Als er sich die Schlüssel wieder holen wollte, war der Tatort schon polizeilich versiegelt – Verwandte hatten das Verbrechen entdeckt. Kurz darauf wurde er festgenommen.

Der schmächtige Bursche betont immer wieder, zu diesem Zeitpunkt nicht er selbst gewesen zu sein. "Es wurde immer schlimmer und schlimmer." Ein Grund könnte sein, dass er in den zwei Monaten davor exzessiv Cannabis und zwei-, dreimal Kokain konsumiert habe, mutmaßt er. Schwankend ist er bei der Frage, ob er in der Zeit vor der Tat Stimmen gehört habe – das hat er bei Polizei und Gutachtern manchmal gesagt, dann wieder verneint.

Allerdings: Der psychiatrische Sachverständige Karl Dantendorfer sieht keinen Hinweis, der für eine Zurechnungsunfähigkeit sprechen würde. K. sei zwar zweifelsohne krank und leide an einer Persönlichkeitsstörung – aber er habe gewusst, was er mache, ist Dantendorfer überzeugt.

"Momentan hochgefährlich"

Gleichzeitig sei der Angeklagte "momentan hochgefährlich" und rückfallgefährdet. Weniger wegen der Folter des Opfers – sondern weil er die Schwerverletzte auch sexuell attackiert habe. Und diese Kombination sei hochproblematisch.

Das Urteil soll am Freitag fallen. (Michael Möseneder, 7.9.2016)