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Ein Schwiegersohn von Istanbuls Bürgermeister Topbaş ist in Haft,

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Verwandte von Exvizepremier Arinç wurden entlassen.

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Ankara/Athen – Für die türkische Regierungspartei muss es ein schmerzvoller Prozess sein. Denn wie sagte noch vor ein paar Jahren Yalçin Akdoğan, der ehemalige Erdoğan-Berater, Vizeregierungschef und Unterhändler mit den Kurden: "Ein Organ eines Menschen kann kein feindseliges Gefühl gegen ein anderes Organ hegen." Jetzt wird aber das Skalpell angesetzt in der konservativ-religiösen AKP.

Die Säuberungen gegen angebliche Mitglieder des Netzwerks des Predigers Fethullah Gülen machen auch vor der Regierungspartei nicht halt. Sie muss ja offenbar organisch mit der Gülen-Bewegung verbunden gewesen sein.

Zu Wochenbeginn kochte die Gerüchteküche hoch: Die AKP-Bürgermeister der Großstädte Istanbul, Ankara und Bursa werden verhaftet, kündigte ein türkischer Journalist an, der für seine guten Verbindungen bekannt ist. Melih Gökçek, der twitternde Langzeitbürgermeister von Ankara, wies diese Vorhersage in einer neun Teile langen Mitteilung im Kurznachrichtendienst als Kampagne verkappter Gülenisten zurück.

Immobilienverkäufe

Doch ganz aus dem Nichts gegriffen erscheint den Türken die Vorstellung von der Verhaftung der AKP-Bürgermeister dann doch nicht. Gökçek musste sich in der Vergangenheit bereits gegen den Vorwurf wehren, Immobilien in der Hauptstadt an die Gülen-Bewegung verschleudert zu haben. Ein Schwiegersohn des Istanbuler Bürgermeisters Kadir Topbaş ist schon als angebliches Fetö-Mitglied verhaftet worden; Fetö oder "Terrororganisation der Fethullah-Anhänger" heißt das Organ, das für den Putschversuch vom Juli verantwortlich gemacht wird.

Auch den ehemaligen Istanbuler Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu hat es zur Verblüffung des türkischen Publikums erwischt. Zwei Bücher des Predigers Gülen waren in seiner Wohnung gefunden worden. Auf seinem Mobiltelefon war die Nummer des ehemaligen Chefs der Luftstreitkräfte, Akin Öztürk, gespeichert, des angeblichen Rädelsführers des Putsches. Mutlu war immerhin der Gouverneur, unter dessen Führung die Gezi-Proteste im Sommer 2013 niedergeschlagen wurden.

Nach einer Woche Gefängnis wurde am Montag der AKP-Parlamentarier Idris Şahin, ein früherer Kovorsitzender des Verfassungsausschusses, aus der Haft entlassen. Bedroht fühlen muss sich der AKP-Mitbegründer Bülent Arinç. Sowohl ein Neffe als auch ein Schwiegersohn verloren bei den Säuberungswellen ihren Job: Der eine war Vizedirektor des staatlichen Energieunternehmens Botaş, der andere lehrte an einer Universität in Ankara. Arinç, ein Erdoğan-Kritiker, war einmal der wichtigste Politiker der AKP neben dem heutigen Staatschef und dessen Amtsvorgänger Abdullah Gül.

Verhaftungen von AKP-Politikern gab es bisher vor allem in der Provinz in Stadträten und Parteigliederungen. Am Hauptsitz der AKP in Ankara warnte die Parteileitung bereits vor Denunzianten.

Interview beschlagnahmt

Derweil gibt es erneut Ärger zwischen der türkischen Regierung und deutschen Medien. Wie die Deutsche Welle am Dienstagnachmittag mitteilte, haben türkische Behörden ein TV-Interview beschlagnahmt, das Moderator Michel Friedman für seine Sendung "Conflict Zone" mit dem Minister für Jugend und Sport, Akif Çagatay Kiliç, geführt hatte. Friedman hatte den Minister unter anderem über den Putsch und die Verhaftungswelle befragt. Das türkische Sportministerium teilte mit, es gebe "keine Autorisierung" für das Interview, da "einige Fragen eher Anklagen" gewesen seien. (Markus Bernath, 7.9.2016)