Ganz ohne Zweifel ist Michel Janneau ein Mann von großzügigem Geschmack. Das Champagner-Dinner mit feiner Speisenbegleitung, zu dem er ins Louis-Roederer-Stadtpalais in Reims bittet, ist erlesen: als Horsd'oeuvre kredenzt er Cristal 2007, der Hauptgang ist ein monumentaler Cristal 2002. Und als Dessert serviert er Roederers Best Ager, Cristal 1993 als eleganten Beweis, dass der wohl berühmteste Champagner aus dem Haus Roederer ganz wunderbar altern kann. Das Zwischengericht ist ein romantischer Brut Rosé.

Seine Tischrede ist allerdings ebenso kurz wie bündig – und einigermaßen überraschend. Zumal für jemanden, der als Roederer-Vizepräsident für die Kommunikation des 1776 gegründeten Champagnerhauses zuständig ist: "Ich werde mich nicht in technischen Details verlieren oder gar über Aroma und Geschmack reden. Ich mag Menschen nicht, die genau das tun, Sommeliers, die über die besondere Blume dozieren und Ihnen sagen, wie Sie die Nase ins Glas stecken müssen. Nein! Sie, niemand sonst, Sie müssen selbst mit ihrem Champagner kommunizieren und Ihre eigene Beziehung aufbauen."

Michael Janneau ist Vizepräsident von Louis Roederer und schwärmt für den Jahrgang 2002.
Foto: Sabine Brauer Photos

Lange Geschichte

Ah ja. Natürlich hat man sich vor der Champagner-Safari nach Reims eingelesen und weiß: Für Cristal-Champagner werden nur erlesenste Weine aus eigenen Crus verwendet, fünfzig bis sechzig Prozent Pinot Noir und vierzig bis fünfzig Prozent Chardonnay. Man weiß auch, dass die für die Lagerung mit gelbem Zellophan umwickelte Flasche mit dem berühmten Goldetikett eine lange Geschichte und die wiederum mit dem Verfolgungswahn von Zar Alexander II. zu tun hat: Dieser beauftragte 1876 Louis Roederer mit der exklusiven Schaumweinherstellung für das russische Zarenhaus.

Abgefüllt wurde der (für den Monarchen extra gesüßte) Champagner damals – und wird es auch heute noch – in transparenten Kristallflaschen mit flachem Boden. Letzteres, weil der Zar fürchtete, man könne in der Flaschenwölbung womöglich Sprengstoff verstecken oder Gift in sein Lieblingsgetränk mischen. Sein Enkel Nikolaus II. machte Roederer dann zum Offiziellen Hoflieferanten, weshalb auf dem Etikett immer noch das Zarenwappen prangt.

"2002 ist der vielleicht wichtigste Jahrgang der letzten zwanzig Jahre", gibt Monsieur Janneau dann doch ein paar kurze therapeutische Tipps für die Beziehungsaufbauarbeit mit Cristal: "Die Bedingungen waren ideal, die Haut der Trauben sexy. Der Champagner legt sich wie Seide auf den Gaumen. 2004 hingegen ähnelt im Erscheinungsbild eher einem Banker." Den schenkt er allerdings nicht aus.

Diskrete Zurückhaltung

Der gleichermaßen witzige wie diskrete Charme Janneaus ist typisch für einen der letzten großen Champagnerhersteller (z. B. Taitinger, Bollinger) in Familienbesitz. Auch Roederers schönste Nebenbeschäftigung, das Kunstsponsoring, wird nicht an die große Glocke gehängt: Palais de Tokyo, Grand Palais, französische Nationalbibliothek. Seit zwei Jahren gehören auch die Salzburger Festspiele zum exklusiven Kreis, weil man deren Nachhaltigkeit – und die Arbeit der Präsidentin schätze.

"Wir machen kein Marketing. Wir machen Champagner – weil wir den Wein lieben!" Heißt: Andere Produzenten mögen Kellertouren organisieren, Louis Roederer sicher nicht. Keine Touristenführungen ins Allerheiligste, keine Schnupperkurse im weinfeuchten Aroma der bis zu zwölf Meter tiefen Katakomben. Keine Andachtsprozessionen zu den 560 riesigen Limousin-Eichenfässern und Edelstahltanks, in denen der kostbare Traubensaft jahre-, ja jahrzehntelang lagert.

560 Barriquefässer aus Limousin-Eiche lagern in den Hallen des Champagnerherstellers.
Foto: Sabine Brauer Photos

Sechs Önologen – drei Frauen, drei Männer – verkosten täglich deren Inhalt, dokumentieren Reifegrad, Temperament, Geschmacksnoten, Aromen und Entwicklung des Weins, ehe schließlich nach der ersten Gärung bis zu vierzig Grundweine miteinander vermischt und mit einem kleinen Anteil gereifter Weine verfeinert werden. Roederer verwendet übrigens nur die Cuvée, wie man bei der Champagnerherstellung den Saft der ersten Pressung nennt; die zweite Pressung wird verkauft oder gegen Trauben eingetauscht. Abgefüllt zwischen Mai und Juli, werden die Flaschen einzeln in die unterste Kelleretage getragen, auf dass der Wein noch einmal vier bis sechs Jahre ruhe.

Nein, guter Champagner ist kein schnelles Geschäft, obwohl alle zwei Sekunden weltweit Champagnerkorken knallen. 300 Millionen Flaschen werden aus der Champagne jährlich in die Welt exportiert – "vieles davon mittelmäßiges, süßes Industriesprudelwasser", sagt Janneau. Nur drei Millionen Flaschen verlassen Roederers Keller: Brut Premier, Brut Vintage, Blanc de Blanc, Cristal, Cristal Rosé, Brut Rosé, Brut Nature.

"Wir produzieren nie, nie, nie Unmengen! Wir achten auf Nachhaltigkeit, aber wir haben keine fixen Regeln, keine Gesetze. Wir experimentieren, erfinden neue Arten, natürlich ist das auch riskant. Aber das bedeutet Leben! Sonst wäre uns todlangweilig."

Das Fundament guten Geschmacks

Die wichtigste Voraussetzung für exquisiten Champagner seien aber sowieso die Beschaffenheit der Anbauböden, ideales Wetter – nicht zu heiß, niederschlagsarm – und erstklassige Reben mit erstklassigen Trauben: "Pinot Noir verleiht dem Wein Struktur und erlaubt ihm zu altern. Aber es ist schwer, mit ihm zu arbeiten. Er ist wie ein wilder Stier, den der Torrero kaum besiegen kann. Chardonnay ist anders, wie ein Flamencotänzer. Aber er bereitet den Champagner nicht auf das Altern vor. Billiger Champagner ist übrigens Chardonnay-basiert. Und die Pinot-Meunier-Traube ist geschmeidig, sanft, rundet mit ihrer Zartheit bestimmte Cuvées ab."

Die optimale Bodenbeschaffenheit und das richtige Wetter sind entscheidend für die Qualität des Champagners.
Foto: Sabine Brauer Photos

Wie gigantische, grün schattierte Patchworkdecken verhüllen Weingärten die Landschaft rund um die Champagner-Metropole Reims, klettern über die sanften Hügel des Montagne de Reims, schmiegen sich ins Marnetal, überziehen die Côte des Blancs. 250 Hektar davon gehören Louis Roederer, in besten Grands- und Premiers-Crus-Lagen versteht sich, feinsäuberlich in etwa 400 Parzellen unterteilt: "Die Trauben jeder Parzelle entwickeln ihren ganz speziellen Charakter, eigene Identitäten. Deshalb gibt es auch für jede Parzelle ein eigenes Team, das über die Jahre täglich die Entwicklung beobachtet. Ich würde sagen, wir kennen jeden einzelnen Weinstock persönlich", erklärt Janneau.

Philippe Starck überzeugen

Rund um das kleine Dörfchen Ay gedeihen ungewöhnlich süße, vollmundige Pinot-Noir-Trauben. Der Kellermeister experimentierte, probierte, keine Dosage, kein Zucker, nur Natur. Weil man für den extravaganten Brut Nature ein ebenso extravagantes Etikett wollte, empfahl Janneau seinem Chef und Freund Frédéric Rouzaud, Urururururenkel des Firmengründers, doch bei Philippe Starck anzufragen.

"Aber das Erste, das der uns sagte, war: 'Wenn ihr wollt, dass ich ein Label entwerfe: Nein! Außer, ihr involviert mich in die Entwicklung des Weins.' Ehrlich gestanden war es dafür schon zu spät, denn eigentlich wussten wir schon, wie der Wein werden sollte. Wir luden ihn trotzdem zu einem Lunch nach Reims ein, gaben ihm Brut Nature zu kosten und holten unseren Kellermeister, einen sehr offenen, intelligenten Menschen." Michel Janneau lächelt: "Wie Sie an den Etiketten sehen, haben sich die Philosophien des Kellermeisters und des Designers getroffen." (Andrea Schurian, RONDO, 10.9.2016)

Philippe Starck ließ sich von Roederers Kellermeister überzeugen udn designte die Etiketten des Brut Nature.
Foto: Hersteller