Zeitgleich mit der Invasion des Großen Höckerflohkrebses sind die Bestände vieler heimischer wirbelloser Tierarten zurückgegangen. Er trägt aber nicht allein die Schuld daran.

Foto: Beggel/ TUM

München – Forscher der Technischen Universität München (TUM) haben festgestellt, dass der invasive Große Höckerflohkrebs bislang falsch eingeschätzt wurde. Er spielt beim massiven Artenschwund von Kleinkrebsen in heimischen Gewässern zwar eine Rolle, aber eine indirektere als angenommen. Wie die Wissenschafter in "BMC Ecology" berichten, verdrängt er heimische Flohkrebse aus ihren Verstecken, woraufhin diese zur leichten Beute für kleine Fische wie die ebenfalls aus dem Schwarzmeerraum eingewanderten Schwarzmundgrundeln werden.

In ihrer Verhaltensstudie untersuchten die Autoren nach eigenen Angaben weltweit erstmals das Zusammenspiel von zwei invasiven Arten beim Rückgang heimischer Arten. Der Hintergrund: Zeitgleich mit der Ausbreitung des Großen Höckerflohkrebses (Dikerogammarus villosus) seit Beginn der 1990er-Jahre gingen auch die Bestandszahlen vieler heimischer wirbelloser Tierarten in den Fließgewässern Mitteleuropas zurück, allen voran die des gewöhnlichen Flohkrebses (Gammarus pulex).

Vehaltensexperiment

Lange Zeit galt der Höckerflohkrebs, der vermutlich als "blinder Passagier" mit Schiffen aus dem Schwarzmeergebiet in die Flusssysteme Mitteleuropas gelangte, als Hauptverdächtiger. Er galt als räuberischer Vielfraß was ihm auch seinen wenig schmeichelhaften Beinamen einbrachte. In ihrem Laborversuch richteten die Forscher um Sebastian Beggel Aquarien mit und ohne Versteckmöglichkeiten ein, in die beiden Krebsarten dann entweder allein oder gemeinsam mit Schwarzmundgrundeln einsetzt wurden.

Frühere Forschungsarbeiten hatten gezeigt, dass Schwarzmundgrundeln spezielle Flohkrebse als Futter bevorzugen, so genannte Gammariden. Im aktuellen Versuch zeigte sich, dass sie diese Flohkrebse auch den Großen Höckerflohkrebsen als Beute vorziehen. In ihrem Experiment simulierten die Forscher natürliche Lebensbedingungen und konzentrierten sich dann auf das Verhalten der Tiere.

Im Zentrum stand dabei die Frage, ob und wie sich das Verhalten der Krebse in Gegenwart der Raubfische verändert. Schon bei den ersten Durchgängen stellte sich heraus, dass der Große Höckerflohkrebs seine einheimische Verwandtschaft nicht als willkommene Erweiterung des Speiseplans betrachtet oder ihr auffällig nachstellt, was bislang für den Rückgang der Flohkrebse angeführt wurde.

Aus Versteck verdrängt

Genaugenommen entpuppte sich der "Killer-Shrimp" in den Verhaltensexperimenten weniger als verfressener Räuber denn als gemeiner Hausbesetzer: "Der Große Höckerflohkrebs nutzt Verstecke intensiver und verdrängt die einheimischen Arten", sagt Beggel. So wurden in Aquarien mit Versteckmöglichkeiten, in denen sich nur einheimische Krebse und Grundeln befanden, gerade einmal neun Prozent der Flohkrebse zu Fischbeute.

Befanden sich dagegen in dem Becken auch Große Höckerkrebse, war ein Anstieg auf bis zu 60 Prozent zu beobachten. "Das Verschwinden der einheimischen Flohkrebse in den Flusssystemen geht auf das Zusammenspiel der beiden invasiven Arten zurück", steht damit für den Forscher fest. Er sieht darin einen Beleg dafür, dass die "invasive Kernschmelze" wie sie in der systembiologischen Theorie schon seit geraumer Zeit postuliert wird, in manchen großen Fließgewässern wie etwa der Donau schon längst stattfindet. "Das komplette System strukturiert sich um – und wir können es dabei beobachten." (red, 2. 9. 2016)