Als die EU-Mitgliedsstaaten 2013 einstimmig die Aufnahme der TTIP-Verhandlungen beschlossen, galt das Transatlantische Freihandelsabkommen als Mittel, die lahmende europäische Konjunktur ohne neue Schulden zu beleben. Und weil USA und EU ähnliche Wirtschaftsstrukturen, Gesetze und Normen haben, wurde nicht mit allzu viel Widerstand gegen die geplanten Handelserleichterungen gerechnet. Schließlich ist der Freihandel auch das Grundprinzip der Europäischen Union.

Weit gefehlt. In den vergangenen drei Jahren ist die Ablehnungsfront in Europa stetig gewachsen, getrieben von kleinen Interessenverbänden, die für sich Nachteile befürchten, und NGOs, die der Globalisierung und der Marktwirtschaft grundsätzlich negativ gegenüberstehen. Dazu kam noch ein Schuss Antiamerikanismus, der auch vom Aufstieg rechtspopulistischer Parteien angeheizt wurde.

All das hätte man voraussehen können. Den Nutzen von Freihandel kennen zwar Ökonomen, aber politisch ist er schwierig zu verkaufen. Denn die Verluste durch Handelsliberalisierung sind zwar meist gering, aber konzentriert und konkret, die größeren Gewinne hingegen auf viele verteilt und unbestimmt. Und die Öffnung von Märkten für ausländische Anbieter löst bei vielen Menschen, egal wo sie politisch stehen, Unbehagen aus. Selbst die absurdesten Warnungen vor Chlorhühnern und der Allmacht böser Konzerne stießen da auf breite Resonanz – vor allem in Frankreich, Deutschland und Österreich.

Gefehlt haben in der Debatte der vergangenen Jahre Politiker, die sich mit Herz und Engagement für TTIP einsetzen. Am ehesten tat das noch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. In Österreich traute sich hingegen nicht einmal die ÖVP, in der Öffentlichkeit das zu vertreten, was im Vertrauen gesagt wird: dass TTIP gerade einer kleinen Exportnation viele Vorteile bringt; dass der oft angeprangerte Investorenschutz schon jetzt Routine ist – und dessen potenziellen Auswüchsen, vor denen Kritiker warnen, in Vertragsklauseln recht leicht entgegengewirkt werden kann.

SP-Chef Christian Kern, dessen Partei TTIP und Ceta einst mitbeschlossen hat, übernimmt mit seiner Fundamentalkritik am Kanada-Abkommen die Diktion der Globalisierungskritiker – und fällt damit auch SPD-Chef Sigmar Gabriel in den Rücken, der sicher kein Lakai der Konzerne ist.

Kein Wunder, dass sich bei solchen Vorkämpfern die öffentliche Meinung gegen TTIP wendet. Die gleiche Mutlosigkeit prägt die Debatte in den USA: Gegen den Radikalprotektionisten Donald Trump traut sich auch Hillary Clinton nicht mehr, für Freihandelsabkommen einzutreten, weil sie um den linken Flügel ihrer Partei buhlt.

Das Scheitern von TTIP, das Politiker nun verkünden, ist Ausdruck ihres eigenen Scheiterns. Die Logik einer Handelsliberalisierung hat sich ja nicht geändert. Die jetzt vorgebrachten Argumente sind fragwürdig: Natürlich wird hinter verschlossenen Türen verhandelt und nicht in aller Öffentlichkeit, wenn man Ergebnisse haben will. Und dass bisher keine Teilvereinbarungen erreicht wurden, ist normal: Beide Seiten heben sich ihre Zugeständnisse für die Schlussrunde auf.

Das stärkste Argument gegen TTIP ist die negative öffentliche Meinung. Aber die hat die Politik mitzuverantworten. Die Geister, die sie nicht zu bannen wagte, stehen jetzt ihren eigenen Vorhaben im Weg. (Eric Frey, 1.9.2016)