Mehr Migranten wagen die Überfahrt wegen der milden Temperaturen.

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15.000 Menschen waren es, die in den fünf Tagen seit dem vergangenen Samstag laut Küstenwache in Italien angekommen sind. Das seien deutlich mehr als in den Wochen zuvor. "Vor dem Beginn des Herbstes wollen die Schlepper noch von der letzten langen Schönwetterperiode des Jahres profitieren", zitierte die Zeitung La Repubblica eine Quelle im italienischen Innenministerium. Insgesamt sind seit Jahresanfang 118.000 Flüchtlinge angekommen – 2000 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Derzeit werden in den zahlreichen, über das ganze Land verteilten Aufnahmezentren rund 145.000 Flüchtlinge versorgt, das sind 40.000 mehr als 2015. Die Aufnahmestrukturen seien zwar "unter Stress", räumte Vize-Innenminister Filippo Bubbico ein. "Aber von einer Notsituation würde ich nicht reden." Um die neu ankommenden Flüchtlinge unterbringen zu können, hat das Innenministerium den Regionen einmal mehr neue Quoten zugeteilt.

Lampedusa: "Notlage"

Die Unterbringung und Versorgung der tausenden Migranten, die täglich an Land gebracht werden, stellt die lokalen Behörden nicht selten vor fast unüberwindliche Probleme. So hat die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, am Mittwoch darauf hingewiesen, dass im Aufnahmezentrum der Insel derzeit mehr als 1700 Personen untergebracht seien – bei einer offiziellen Kapazität von 450 Personen. "In dieser Situation kann man nicht mehr von Aufnahme sprechen – das ist eine Notlage." Das Aufnahmezentrum von Lampedusa dient gleichzeitig als europäischer "Hotspot" zur Registrierung der Flüchtlinge.

Auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger betrachten die hohen Flüchtlingszahlen als Notsituation, zumal sich vor allem in den größeren Städten immer wieder wilde Flüchtlingscamps bilden oder Gruppen beschäftigungsloser Migranten in Bahnhöfen und Parks sitzen. Kritik an der Politik und an den Beschwichtigungen der Regierung von Matteo Renzi kommt nicht mehr bloß von der fremdenfeindlichen Lega Nord und anderen Rechtsaußenparteien, sondern auch aus Kreisen, die sich bisher grundsätzlich offen für die Aufnahme der Flüchtlinge gezeigt hatten.

Stimmung droht zu kippen

Gut lässt sich dies etwa an Leserkommentaren in der links-liberalen Repubblica ablesen. Es sei eine "Schande, dass illegal eingereiste Migranten in öffentlichen Gebäuden und Hotels untergebracht werden, während unsere Landsleute, deren Häuser vom Erdbeben zerstört wurden, nun in Zeltstädten leben müssen", schrieb eine Leserin. Zum Unmut trägt bei, dass es sich bei den Bootsflüchtlingen zum größten Teil um Migranten aus Afrika handle, deren Asylgesuch ohnehin abgelehnt werden wird, da sie nicht aus Kriegsgebieten stammen. Migranten aus Nicht-Bürgerkriegsländern Afrikas, so der Tenor, müssten umgehend wieder in ihre Heimat gebracht werden.

Auch Regierungschef Matteo Renzi hat gemerkt, dass die Stimmung im Land zu kippen droht. Bei einem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch betonte der italienische Premier, dass es "undenkbar ist, dass Europa jeden aufnehmen kann". Er forderte wieder eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Länder. Merkel sagte Renzi bei der geforderten Lastenverteilung ihre Unterstützung zu – ebenso für gemeinsame Anstrengungen bei der Repatriierung abgelehnter Asylbewerber. "Wir werden unserer humanitären Verantwortung gerecht, aber die, die kein Bleiberecht erhalten, müssen wieder gehen", so die Kanzlerin. (Dominik Straub aus Rom, 1.9.2016)