Irgendwo gibt es immer Schlupflöcher, und einer wie Pablo Escobar hat sie noch jedes Mal gefunden. Genauer gesagt – Achtung, Achtung, Spoiler! – benötigt er nicht eine einzige Kugel, um sich den Weg freizumachen vor der Polizistenallee, die ihn einkassieren will. Wieder kommt er davon, aber so wird es nicht bleiben.

Denn in der zweiten Staffel von "Narcos", ab Freitag auf Netflix abrufbar, ist der unaufhaltsame Aufstieg des Pablo Escobar beendet. Dem Drogenregenten, der in den 1980er-Jahren in Kolumbien mit ungezügelter Kokainproduktion nicht nur einer explodierenden Nachfrage in den USA nachkam, sondern das eigene Land in einen rechtsfreien Raum verwandelte, geht es jetzt an den Kragen: Neuerdings steigt der "Don" nicht über die Tür, sondern vom Kofferraum eines Autos aus.

Dass das wirklich so geschehen ist, dafür verbürgt sich Escobar-Darsteller Wagner Moura: "'Narcos' ist Fiction, keine Dokumentation, aber wir wollten so präzise wie möglich an der Wirklichkeit dran sein", sagt Moura im Gruppeninterview in London. Von Anfang an habe er "versucht, Escobar nicht zu verurteilen. Natürlich habe ich eine sehr klare Meinung dazu, wofür Pablo steht und was er getan hat, aber er war eine interessante, komplexe Persönlichkeit. Ich wollte ihn weder ausschließlich als Bösewicht noch als Robin Hood darstellen, sondern als Menschen mit vielen Facetten."
Die Ereignisse lägen noch nicht allzu lange zurück, besonders in Kolumbien sei das Thema nach wie vor heikel: "Wir wollten mit der kolumbianischen Geschichte so respektvoll wie möglich umgehen."

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Er habe so gut wie alles Verfügbare über Escobar gelesen, um schließlich alles zu vergessen und seine eigene Version zu kreieren, sagt der 40-jährige Brasilianer, der für "Narcos" erst Spanisch lernen musste. Netflix zielte mit der Serie ursprünglich auf den lateinamerikanischen Markt, doch das vielschichtige Drama wurde weltweit zum Erfolg – unüblicherweise in Originalfassung.
"Am Schlimmsten wäre gewesen, wenn 'Narcos' als amerikanische Cop-Serie wahrgenommen worden wäre, mit zwei US-Polizisten, die nach Südamerika gehen, um die Menschen von einem Bösewicht zu befreien", sagt Moura.

Foto: Netflix

Mit dem weltweiten Erfolg hat Moura nicht gerechnet: "Ich wollte, dass Kolumbianer die Serie mögen." Kritik kam ausgerechnet von dort, weil "die Kolumbianer Escobar einfach satthaben", sagt Moura. "Sie haben es satt, ihren Reisepass herzuzeigen und jedes Mal dieselbe Reaktion zu bekommen: Oh, Kolumbianer!" Dabei habe sich das Land sehr verändert: "Bogotá war in den 1980ern die gefährlichste Stadt der Welt, heute ist es eine moderne, pulsierende Metropole."

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Die neuen Folgen konzentrierten sich stärker auf Charaktere, sagt Moura. Die erste Staffel habe Escobars Aufstieg in epischer Breite erzählt. Jetzt gehe es mehr um Figuren, um Escobar, dessen Gegenspieler Steve Murphy (Boyd Holbrook) und Javier Pena (Pedro Pascal) sowie deren "moralische Zweifel": "Welche Grenzen muss ich überschreiten, um ihn zu fangen? Muss ich werden wie er?" Daneben versucht Escobar seine Familie zusammenzuhalten: "Wir sehen ihn als einen, der von allen gejagt wird, er hat seine Macht verloren", sagt Moura, der bekennender Befürworter der Legalisierung von Drogen ist.

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Nach "Narcos" sei er das noch mehr: "Seit ich weiß, wie die Drogenkartelle funktionieren, bin ich davon zu 100 Prozent überzeugt. Es ist sehr klar für mich, dass der Krieg gegen Drogen ein großer Flop ist, besonders gegen Länder, die Drogen herstellen und exportieren. Der Krieg findet nicht in den Ländern statt, die Drogen konsumieren, wie den USA, sondern in ihren Herkunftsländern, Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Peru, Bolivien. Dort werden die Jungen in einem schrecklichen Krieg in ihren Neighbourhoods ermordet." Drogenmissbrauch solle "als Gesundheitsproblem behandelt werden und nicht als Polizeiproblem".

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Für die Rolle des übergewichtigen Drogenbosses legte sich Moura einen ordentlichen Schwimmreifen an, den er sich gerade wegtrainiert – nicht nur aus Gründen der Optik: Gewicht zu verlieren bedeute für ihn nicht einfach nur abzunehmen, sondern "Pablo loszuwerden". "Ich lebte zwei Jahre mit diesem Körper, der nicht meiner ist."
Seine Heimat Brasilien sieht er "in der schlechtesten Phase seit der Diktatur". Brasilien sei eine noch "sehr junge, zerbrechliche Demokratie. Das größte Problem in Brasilien, wie in ganz Südamerika, sind die sozialen Gegensätze. Die soziale Wut, die jahrelang unterdrückt wurde, gerät außer Kontrolle."

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Die nächste Arbeit führt Moura mitten ins Herz der eigenen Heimatgeschichte. Er übernimmt in einem Film über den brasilianischen Revolutionsführer Carlos Marighella erstmals die Regie. (Doris Priesching aus London, 2.9.2016)

Die Reise nach London wurde von Netflix unterstützt.

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