Wien – Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat sich skeptisch zum bereits verhandelten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) geäußert und Verbesserungen gefordert. Es gebe hier viele ähnliche Schwachpunkte wie bei TTIP, sagte Kern Mittwochabend im ORF-Fernsehen. "Das wird der nächste Konflikt innerhalb der EU sein, den Österreich auslöst", kündigte Kern an.

"Diese Freihandelsabkommen bringen unter dem Deckmantel des Freihandels in Wahrheit eine massive Machtverschiebung zugunsten global agierender Konzerne und zulasten der demokratischen Mitbestimmung, der demokratischen Politik", kritisierte Kern beide Abkommen. "Das ist ein grundsätzlicher Webfehler." Am Ende müsse man sich darauf konzentrieren, "dass demokratische Mitbestimmung bei der Gestaltung unserer Wirtschaft möglich bleibt und dass wir nicht die Machtverhältnisse zugunsten globaler Konzerne verschieben".

Zuvor hatte sich am Mittwoch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) für einen Verhandlungsstopp bei TTIP und einen Neubeginn nach den US-Wahlen ausgesprochen. Der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Jörg Wojahn, erklärte hingegen in der "ZiB 2" am Mittwochabend, es gebe zu TTIP auch andere Meinungen als jene Österreichs. "Wir verhandeln für alle 28 Mitgliedsstaaten. Wir haben am 28. September ein Treffen aller Handelsminister, da wird es besprochen."

Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer pochen auf TTIP

Im Ö1-"Morgenjournal" sprach sich Industriellenvereinigung-Generalsekretär Christoph Neumayer am Donnerstag gegen einen TTIP-Verhandlungsstopp aus. Fairer freier Handel sei eine "Riesenchance für Österreich". Ein Wirtschaftsminister sollte immer zuallererst den Standort, die Unternehmer und die Arbeitnehmer im Fokus haben, übte er indirekt Kritik an Mitterlehner.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl betonte, der Zugang zum US-Markt sei ungeheuer wichtig, die USA seien Österreichs zweitwichtigster Handelspartner nach Deutschland. Aber das Freihandelsabkommen "muss ein faires Abkommen sein".

Wifo-Chef Badelt bei TTIP grundsätzlich positiv

Auch der seit Donnerstag amtierende neue Wifo-Chef Christoph Badelt sieht TTIP grundsätzlich positiv: "Es wird den Freihandel erleichtern und grundsätzlich positive Effekte haben. Aber die Sorgen, die jetzt immer wieder in den Vordergrund gedrängt werden, haben natürlich einen wahren Kern." Man solle aber nicht die Flinte ins Korn werfen, sondern eine klare Verhandlungsposition der Europäer formulieren.

Der nun geforderte Verhandlungsstopp bis nach der US-Präsidentenwahl sei offenbar ein Versuch, die Situation zu entkrampfen. Wenn man das in der Diktion tue, "wir wollen das eigentlich eh nicht mehr", löse man in der europäischen Debatte jedoch die Hoffnung aus, das Ganze sei jetzt gestorben, kritisierter er. (APA, 1.9.2016)