Libreville – Mindestens zwei Tote, mehrere Verletzte, ein brennendes Parlament und Szenen wie im Bürgerkrieg: Gabun hatte bisher als einer der wenigen politisch stabilen Staaten in Zentralafrika gegolten – nun, nach der umstrittenen Präsidentenwahl am Wochenende, droht das ölreiche Land im Chaos zu versinken. Am Donnerstag waren laut Agenturmeldungen laute Explosionen und Schusswechsel in Libreville zu hören, laut offizieller Darstellung gab es in mindestens neun Bezirken der Hauptstadt Ausschreitungen. Nach Angaben der Behörden wurden mehr als 1.100 Personen verhaftet, die die Regierung als Plünderer bezeichnet.
Der Urnengang vom Wochenende hatte nach Angaben der Wahlkommission ein denkbar knappes Ergebnis gebracht: Amtsinhaber Ali Bongo, dessen Familie seit Jahrzehnten das politische Geschehen im Land kontrolliert, kam auf 49,80 Prozent der Stimmen. Oppositionskandidat Jean Ping erreichte 48,23 Prozent. Bongos Vorsprung lag demnach bei nur 5.594 Stimmen. Für Unruhe sorgte vor allem ein Detail des Ergebnisses: Landesweit lag die Wahlbeteiligung bei 59,46 Prozent, in der Provinz Haut-Ogooué, Heimatprovinz der Bongos, wurde hingegen eine außerordentlich hohe Beteiligung von 99,93 Prozent registriert. Der Präsident gewann dort laut offiziellen Zahlen 95,5 Prozent der Stimmen.
Bongo meldete sich am Abend in einer kurzen Ansprache zu Wort. Er habe niemals versucht, die Wahlbehörden im Land zu beeinflussen. Die Demokratie passe schlecht zu "selbstproklamierten Siegen", sagte er mit Anspielung auf die Opposition, über deren Proteste er "meine große Trauer" ausdrückte.
Ping, einst Minister unter Ali Bongos Vater Omar und Generalsekretär der Afrikanischen Union (AU), nannte das Ergebnis gefälscht. "Jeder weiß, dass ich gewonnen habe." Er verlangte eine Neuauszählung der Stimmen. Zudem forderte er die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen auf, um die rund 1,7 Millionen Gabuner vor den Angriffen "eines Söldnerclans zu schützen".
Die EU, die USA und Frankreich verlangten von der Regierung ihrerseits, die vollständigen Details des Wahlergebnisses und mehr Einzelheiten zur Auszählung öffentlich zu machen. Das lehnte ein Regierungssprecher am Abend ab. Ein solcher Vorgang komme nicht infrage, denn "Gabun ist ein Rechtsstaat". UN-Generalsekretär Ban Ki-moon rief alle Beteiligten zur Ruhe und zur Zurückhaltung auf.
Opposition mit Hubschraubern bombardiert
Am Betrugsvorwurf hatten sich schon am Mittwoch die Proteste entzündet: Nach Angaben der Opposition wurden dabei mindestens zwei Menschen getötet. Sicherheitskräfte stürmten in der Nacht auf Donnerstag in Libreville das Hauptquartier von Bongos unterlegenem Gegenspieler Jean Ping. Regierungskritiker hatten zuvor das Parlamentsgebäude in Brand gesteckt, dichter Rauch stand über der Hauptstadt.
"Es gibt zwei Tote und mehrere Verletzte", sagte Ping Donnerstagfrüh der Nachrichtenagentur AFP. Die Republikanische Garde habe die Oppositionszentrale aus Hubschraubern bombardiert und vom Boden aus angegriffen. Ping hielt sich nach eigenen Angaben bei der Erstürmung nicht in der Parteizentrale auf. Die Angaben zu den Opfern habe er aber aus "sicherer Quelle". Zu neuen Protesten rief er nicht auf, weil seine Unterstützer "schon jetzt unter so großem Druck der Behörden" stünden.
Neben den Toten und Verletzten aus Libreville wurden auch aus anderen Landesteilen Verletzte gemeldet, berichtete die Zeitschrift "Jeune Afrique" online.
Schüsse und Tränengas
Der Vorsitzende der Oppositionspartei Nationale Union, Zacharie Myboto, erlebte die Erstürmung nach eigenen Angaben in dem Gebäude mit. Die Sicherheitskräfte seien dabei "extrem gewalttätig" vorgegangen, berichtete er. Es werde scharf geschossen und Tränengas eingesetzt.
Regierungssprecher Alain-Claude Bilie-By-Nze rechtfertigte das Vorgehen. In der Oppositionszentrale hätten sich Bewaffnete verschanzt, die zuvor das Parlament angezündet hätten. Zudem würden sich dort "hunderte Kriminelle und Ganoven" verstecken. "Das sind keine politischen Demonstranten, sondern Verbrecher", sagte Bilie-By-Nze. Den Tod mindestens einer Person bestätigte er, über die Gründe für das Ableben könne er aber nichts sagen. "Wir haben keinerlei Informationen über die Todesursache dieser Person, deren Körper in der Nähe des Hauptquartiers von Jean Ping gefunden wurde." Später machte Bilie-By-Nze Ping persönlich für die Gewalt verantwortlich. Es sei ein Plan in Gang gesetzt worden, den dieser lange zuvor ausgearbeitet habe.
Internetzugang blockiert
In den Straßen von Libreville war ein massives Aufgebot an Polizei und Soldaten im Einsatz. Schüsse waren zu hören, der Zugang zum Internet war blockiert, ebenso waren vorübergehend keine SMS verschickbar.
Nach Bekanntgabe des Ergebnisses gingen tausende Oppositionsanhänger auf die Straße und lieferten sich Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, bei denen mindestens sechs Menschen verletzt wurden. "Ali muss weg!", rief die Menge.
Pings Lager hatte schon vor der Wahl von Betrug gesprochen, weil ein Gericht erlaubt hatte, dass zusätzliche Wählerlisten für Soldaten erstellt wurden. Diese durften auch außerhalb ihres Stimmbezirks wählen. Die Opposition kritisierte, dass dadurch mehrfache Stimmabgaben möglich seien.
Die Opposition verlangte eine Neuauszählung der Stimmen. "Es wird schwierig werden, die Leute davon zu überzeugen, diese Ergebnisse zu akzeptieren", sagte ein Mitglied der Wahlkommission der Nachrichtenagentur AFP. "Wir haben noch nie solche Ergebnisse gesehen, nicht einmal in der Regierungszeit seines Vaters."
Familie Bongo herrscht seit 50 Jahren
Gabun wird seit fast 50 Jahren von der Familie Bongo beherrscht. Ali Bongo trat das Präsidentenamt 2009 nach dem Tod seines Vaters Omar an, der 41 Jahre lang Staatschef war.
Trotz reicher Ölvorkommen lebt ein Drittel der Bevölkerung von Gabun in Armut. Wegen des Niedergangs des Erdölsektors wurden tausende Arbeiter entlassen. Sowohl Ping als auch Amtsinhaber Ali Bongo hatten im Wahlkampf einen Neuanfang angekündigt, an der Glaubwürdigkeit ihrer Angaben gibt es wegen der langen politischen Vergangenheit der beiden Männer aber große Zweifel. (mesc, APA, AFP, 1.9.2016)