Die französische Elektrizitätsgesellschaft EdF veröffentlichte Ende Juli diese Visualisierung, wie Hinkley Point C an Südwestenglands Küste aussehen soll.

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Die Maschinen stehen still. Ein metallener Absperrungszaun und umgegrabenes Erdreich deuten darauf hin, dass hier eigentlich eine geschäftige Baustelle sein sollte. In der Nähe von Bridgwater in der Grafschaft Somerset, direkt an der Küste des Bristolkanals und eingebettet in die sanfte Hügellandschaft Südwestenglands, sollen zwei Reaktoren des Atomkraftwerks Hinkley Point C gebaut werden. So will es zumindest der Betreiber, die französische Elektrizitätsgesellschaft EdF, zweitgrößter Stromproduzent der Welt. Ende Juli verkündete EdF die Investitionsentscheidung zum Bau, doch am folgenden Tag hob die neue britische Premierministerin Theresa May die Entscheidung auf. Das Projekt muss sich noch einmal einer Prüfung unterziehen, eine Entscheidung soll noch im September fallen.

Investoren verunsichert

Das war ein von den französischen Betreibern unerwarteter Knalleffekt rund um das umstrittene AKW. Das Partyzelt war schon aufgebaut, der Champagner eingekühlt, als die Nachricht vom Baustopp kam, wie Allan Jeffrey erzählt. Er organisiert die Bürgerinitiative "Stop Hinkley", die seit 40 Jahren gegen Hinkley Point A, B und nun C protestiert. Der pensionierte Wissenschaftslehrer mit den dicken Brillengläsern hat in seinem Haus einen Stützpunkt der regionalen Atomkraftwerksgegner eingerichtet. Das AKW-Projekt nennt er ein "finanzielles Debakel". Die Baukosten des AKWs, das 2025 an das Stromnetz gehen sollte, werden laut EdF auf 22 Milliarden, inklusive der Finanzierungskosten auf 30 Milliarden Euro geschätzt. Der geplante Brexit verunsichert potenzielle Investoren zusätzlich.

Peter Smith arbeitete fast 30 Jahre als Sicherheitsingenieur im AKW Hinkley Point. Mittlerweile engagiert er sich gegen Atomkraft. Der 65-Jährige steht auf der leichten Anhöhe, von der aus man Hinkley Point A, B und den Baugrund für C überblicken kann. Mit einer Handbewegung zeigt er auf einen Bereich der Anlage und erklärt mit wenigen Worten, wie einfach es wäre, einen verheerenden Terroranschlag zu verüben.

Der Sicherheitsaspekt ist ein Grund für die neuerliche Überprüfung der chinesischen Beteiligung an Hinkley Point C. Denn der Neubau wäre nur durch Unterstützung Chinas zu realisieren. Der Staatskonzern China General Nuclear Power Group will ein Drittel finanzieren. Paul Dorfman, Forscher am Energieinstitut des University College London und ehemaliger Berater der Regierung, weist auf die diplomatische Verstimmung hin, die die neuerliche Überprüfung bei China verursacht hat. Kein anderes EU-Land hat China Einblick in seine nukleare Infrastruktur gewährt, kritisiert er. "Wir verkaufen unser Land an die Chinesen", übt auch die britische EU-Abgeordnete Molly Scott Cato scharfe Kritik.

Diplomatische Verstimmungen rund um den Bau von Hinkley Point C gab es auch zwischen Großbritannien und Österreich. Die Republik Österreich beteiligte sich im Juli 2015 an einer Nichtigkeitsklage wegen Wettbewerbsverzerrung durch Subventionierung der britischen Atomkraft beim Europäischen Gerichtshof. London drohte daraufhin offen mit Gegenmaßnahmen. Österreich lasse sich nicht einschüchtern, erwiderte der damalige Bundeskanzler Werner Faymann.

"Gewinnt Österreich die Klage, könnte das einen Dominoeffekt erzeugen", sagt der grüne Landesrat Rudolf Anschober dem STANDARD. Denn damit würden Ausbaupläne an den österreichischen Grenzen, etwa in Dukovany und Temelín, scheitern: "Ohne Subvention hat kein AKW-Neubau in der EU mehr eine Chance." Eine Entscheidung des EuGH wird für das erste Halbjahr 2017 erwartet.

Rückenwind bekommen die Kritiker durch den aktuellen britischen Kontrollbericht für das Parlament. Darin wird der Zuschussbedarf für Hinkley Point C für die Laufzeit von 60 Jahren auf 36 Milliarden Euro geschätzt. In demselben Bericht wird darauf hingewiesen, dass die Stromproduktion durch Wind- und Solarenergie deutlich billiger wäre. "Der staatlich garantierte Abnahmepreis für Strom aus Hinkley Point würde um das Vierfache über dem Marktpreis an der Strombörse liegen", so Anschober. Dem Energieerzeuger werde ein Basispreis (strike price) zugesichert. Die Subventionen wären weitaus höher als für Solar- und Windenergie. Je geringer die Erträge am Markt für Hinkley-Point-C-Strom, desto größer ist die Differenz zum garantierten Abnahmepreis und desto höher die Kosten für die Briten.

Angst vor dem Blackout

Befürworter argumentieren mit einem drohenden Energieengpass auf der Insel. Das an die Baustelle angrenzende Hinkley Point A ist seit 2004 aus Altersgründen stillgelegt. Hinkley Point B hat eigentlich 2011 das vorgesehene Ende seiner Laufzeit erreicht. Die Chancen für eine Verlängerung bis 2017 stehen jedoch gut.

"In den kommenden zehn Jahren werden etwa 58 AKWs älter als 40 Jahre sein und müssten vom Netz genommen werden", bestätigt Stephen Thomas, Professor für Energieforschung an der University of Greenwich. Er sieht darin aber kein Argument für die Atomkraft.

Eine Alternative lässt sich an einigen Küstenabschnitten Südenglands mit dem Feldstecher ausmachen: Windräderparks ragen aus dem Meer. Auch etwa 89 Kilometer von der Küste Yorkshires in Nordengland soll zum Beispiel der 300 Turbinen umfassende Windpark "Hornsea Projekt two" entstehen. Der Offshore-Windpark soll 1,6 Millionen Haushalte mit Strom versorgen.

Die Fertigung von Bauteilen ist übrigens ein Geschäftsfeld der österreichischen Voest, so Anschober. Gerade der Standort Hinkley Point wäre für erneuerbare Energie optimal geeignet, sagt Energieexperte Thomas: "Dort gibt es weltweit die zweitstärkste Dynamik an Gezeiten." (Julia Schilly aus Bridgwater, 31.8.2016)