Schauspieler, die im Landestheater Salzburg simultan für das Saalpublikum und die Kameras agieren: "Die Räuber" ist eine multimediale, live im TV gesendete Inszenierung von Matthias Hartmann.

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Matthias Hartmann bereitet "Die Räuber" für das TV auf.

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STANDARD: Es gibt nichts Langweiligeres als abgefilmtes Theater. Wie kamen Sie bloß auf die Idee, Bühne und Fernsehen zu verbinden?

Hartmann: Es passt in der Tat nicht gut zusammen, denn Fernsehen hat in gewisser Weise immer etwas Trivialisierendes. Aber ich will mit dem Räuber-Projekt auch nicht den aktuellen Theaterdiskurs befruchten. Die Idee ging eigentlich vom Stück aus. Ich habe am Burgtheater, noch unter Peymann, Die Räuber inszeniert. Schon damals habe ich den Karl Moor, den Räuberhauptmann, herausgearbeitet, den Schiller liebte und der im Theater immer vernachlässigt wird, im Gegensatz zu seinem Bruder Franz.

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STANDARD: Was prädestiniert Die Räuber für dieses TV-Format (Liveübertragung aus dem Landestheater Salzburg am 4. September, 20.15 Uhr)?

Hartmann: Mir lag stets eine Verfilmung am Herzen, weil mir die tragischen Ambivalenzen filmisch gut erzählbar scheinen. Ich hatte damals schon alle Förderzusagen, dann starb aber Leo Kirch, der Produzent.

STANDARD: Sie wollten Schillers Räuber als Kinofilm machen?

Hartmann: Ja. Ich hatte am Burgtheater mit einem Casting begonnen, das in eine Filmarbeit hätte münden sollen, und wollte das live aus dem Burgtheater senden. Servus TV war sofort interessiert. Dann flog ich raus. Dietrich Mateschitz fragte, was mit den Räubern sei. Er wollte sie auch ohne das Burgtheater als Vertragspartner. Das ist der Grund, warum ich in Salzburg gelandet bin.

STANDARD: Was beschäftigt Sie an den Räubern?

Hartmann: Es ist eine sehr deutsche Geschichte: das Gute wollen, aber das Böse schaffen.

STANDARD: Als Nächstes inszenieren Sie Michael Kohlhaas in Düsseldorf, wieder ein Text über Gerechtigkeit. Arbeiten Sie Ihre Burgtheater-Entlassung auf?

Hartmann: Dann müsste ich ja ein Stück über einen populistischen, kulturell nicht besonders versierten Politikerstrategen und Parteisoldaten machen, oder? Machiavelli, oder wenn wir schon bei Schiller sind: Der Parasit.

STANDARD: Was interessiert Sie am Fernsehen?

Hartmann: Ich versuche mit meinen Mitteln etwas Neues zu kreieren. Natürlich entsteht mit den Räubern ein Fernsehschinken! Ich suche hier nicht nach der innovativsten Deutung des Stoffes. Es ist eher der Versuch, die Livearbeit fürs Fernsehen aufzubereiten. Denn warum ist abgefilmtes Theater so fad? Schon allein wegen der lahmen Schnittgeschwindigkeit!

STANDARD: War mehr Theaterregie oder Fernsehregie nötig?

Hartmann: Es ist total zwitterhaft. Im allerschlimmsten Fall müssten wir sagen: Na ja, das Theaterpublikum hätte besser ein richtiges Theater verdient und das Fernsehpublikum einen echten Film. Schön wäre aber, wenn die Menschen im Saal sagen: "Wow, ich sehe live, wie ein Film entsteht." Etwas technisch so Komplexes habe ich tatsächlich noch nie gemacht. Wir sind hier mit einem Jumbojet abgehoben und wissen noch nicht, ob wir den landen können. Das Gelingen hängt von so vielen Faktoren ab. Wir haben auch noch nie geschafft, dass es funktioniert!

STANDARD: Das ist beunruhigend!

Hartmann: Total. Es ist wirklich so. Für ein Greenscreening müssen die Schauspieler auf den Zentimeter genau stehen. Das Licht muss exakt fallen, damit die Illusion des Zusammenspiels wirkt. Das ist ein sehr, sehr genaues Flechtwerk.

STANDARD: Diese "Räuber" sind mehr Fernsehprodukt als Theater?

Hartmann: Es ist ein klares Medienprodukt und gehorcht auch den Gesetzen des Mediums. Hier im Theater entwickelt das Publikum im besten Fall eine Faszination dafür, wie so etwas entsteht. (Auf der Leinwand im Theatersaal lodern indes Flammen auf, Anm.) Sehen Sie, da fliegt jetzt eine Stadt in die Luft. Das habe ich in meinem Garten beim Grillplatz gedreht. Dafür haben wir eine Modellstadt gebaut.

STANDARD: Das Theater hat seine Grenzen, viele Effekte lassen sich auf der Bühne live nicht erzeugen.

Hartmann: Klar. Ich bin momentan eigentlich auch ganz dankbar, dass ich – unfreiwillig zwar – in eine ganz andere Arbeitswelt geraten bin. Ich glaube nicht, dass ich von allein den Mut aufgebracht hätte, etwas ganz anderes zu tun. Wenn ich aber jetzt diese Chance habe, dann möchte ich die Möglichkeiten dieses Mediums auch tief ergründen.

STANDARD: Der Text ist sehr komplex. Wie gehen Sie damit um?

Hartmann: Der blutjunge Schiller war noch ganz sprachverbohrt, ja. Die Sätze sind schwierig zu kauen. Im TV ist nicht alles erzählbar.

STANDARD: Sie haben also eine eigene Fassung erstellt?

Hartmann: Ich habe Scharniere gebaut zwischen jenen Textstellen, die sich im Fernsehen vermitteln lassen. Die filmische Umsetzung enthält natürlich auch ironische Aspekte; man kann so etwas nur mit Augenzwinkern machen. Ich denke nicht, dass wir deshalb Schiller oder das Theater verraten. Wenn ich TV mache, dann gehorche ich dem Genre aufrichtig.

STANDARD: Nach der Salzburg-Premiere gehen Die Räuber auf Tour, nach Wolfsburg, nach Hamburg, auch nach Wien ans Volkstheater. Stets mit Liveübertragungen?

Hartmann: In Hamburg sendet der NDR, in Wien läuft es ohne Übertragung. Ich freue mich auf Wien, weil mich wahnsinnig viele Menschen dort ansprechen, die wieder etwas von mir sehen wollen.

STANDARD: Könnte dieses Fernsehtheater ein Modell werden?

Hartmann: Es gibt schon Gründe, warum Menschen so etwas nicht machen. Es ist zu kompliziert.

STANDARD: Und die Kosten?

Hartmann: Befinden sich eher im Rahmen einer Filmproduktion. Dietrich Mateschitz ist ein großer Mann. Stark und entschieden. Das ist herausragend. In seinem Sender findet mehr Kultur statt als in den öffentlich-rechtlichen.

STANDARD: Im Trailer sieht man die Räuber auf einem Motorrad. Welches Bild wollen Sie zeichnen?

Hartmann: Diese Räuber sind Studenten, sie haben über die Stränge geschlagen. Anfangs sind sie harmlose Jungs, die provoziert haben. Sie geraten aber immer mehr in eine Schleife der Vernichtung. Doch Karl Moor ist kein Revolutionär! Das Stück beginnt damit, dass er nach Hause will. Die deutsche Rezeptionsgeschichte will Die Räuber immer als Revolutionsdrama lesen, aber das ist es nicht. Es ist vielmehr eine Schicksalsgeschichte für junge Leute. (Margarete Affenzeller, 1.9.2016)