Emmanuel Macron ist immer für eine Überraschung gut: Der erst 38-jährige Wirtschaftsminister fuhr am Dienstagnachmittag im Schiff zum Élysée-Palast, um Präsident François Hollande sein Rücktrittsschreiben zu überbringen. Natürlich wusste er, dass die TV-Kameras vor allem den Moment festhalten würden, da er im Ministerialboot die Seine hinabfuhr. Seine Regierungskollegen mögen wie gehabt die Nase rümpfen über den ambitiösen Benjamin – den übrigen Franzosen bleibt von diesem Tag das Bild eines Politikers haften, der neue Wege zu begehen wagt.
Und genau darum geht es Macron: Die Demission erfolgte laut einer erfahrenen Pariser Kommentatorin "zum letztmöglichen Zeitpunkt, um noch in den Präsidentschaftswahlkampf einsteigen zu können". Offiziell ist der Starminister, der zwei Jahre im Amt war, ohne viel Bleibendes zu hinterlassen, noch nicht Kandidat. Aber sein Rücktritt als Minister kann nur dem Zweck dienen, seine Kampagne als Präsidentschaftskandidat vorzubereiten.
Eine gewisse Loyalität gegenüber Hollande hemmt den ehemaligen Protegé des Präsidenten; doch dieser steht in den Umfragen so schlecht da, dass er längst nicht mehr als "natürlicher" Kandidat seines Lagers gelten kann. Schon drei interne Gegenkandidaten, allesamt Ex-Minister wie Macron, haben sich Hollande in letzter Zeit zu seiner Linken entgegengestellt: die Grüne Cécile Duflot und die Sozialisten Benoît Hamon und Arnaud Montebourg.
Hollande zögert
Nun ist Hollande geradezu eingekeilt: Auf seiner Linken bedroht ihn Montebourg, der in einer geheimen, aber durchgesickerten Umfrage des Parti Socialiste besser abschneidet als Hollande; zu seiner Rechten inszeniert sich Macron, der mit seiner Bewegung "En Marche" (in Bewegung) unausgesprochen Wahlkampf betreibt.
Nach seinem Rücktritt hat Macron erneut eine Präsidentschaftskandidatur angedeutet, ohne sie aber offiziell zu verkünden. "Ich will heute eine neue Etappe in meinem Kampf einleiten und ein Projekt aufbauen, das einzig und allein dem Allgemeinwohl dient", sagte Macron am Dienstag. "Ich bin entschlossen alles zu tun, damit unsere Werte, Ideen und Taten Frankreich ab dem kommenden Jahr verändern können", sagte Macron. Die "notwendigen Debatten" über solche Veränderungen könnten nur während eines Präsidentschaftswahlkampfes ausgetragen werden.
Fürs Erste hält sich Macron aber ebenso bedeckt wie Hollande. Während die wichtigsten Rechtskandidaten wie Nicolas Sarkozy, Alain Juppé oder Marine Le Pen längst feststehen, zögert Hollande – weshalb auch Macron warten muss. Sein wichtigster Vertrauter, Gérard Collomb, Bürgermeister der Rhône-Metropole Lyon, erklärte nur, dass Macron "natürlich" ins Rennen steigen werde, falls Hollande nicht zur Wiederwahl antrete. Wenn er prophylaktisch bereits als Minister zurücktritt, dann auch, um Premierminister Manuel Valls zuvorzukommen. Dieser gehört wie Macron zum rechten Parteiflügel und wartet auch nur darauf, Hollande "beerben" zu können.
Und wenn Hollande antritt? Bisher hat Macron diese Frage offengelassen. Bewirbt er sich dann trotzdem als wilder Kandidat, ohne bei der Primärwahl der Sozialisten mitzumachen? Das würde das sichere Aus für beide – und damit für die Linke insgesamt bedeuten.
Der Chef der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, warf Macron am Dienstag vor, er habe sich "nicht besonders um die Franzosen gekümmert, außer um sie zu beleidigen". Damit spielte er auf einen Zwischenfall an, als der stets im Nadelstreif auftretende Linksminister einen Bürger angeherrscht hatte: "Sie machen mir mit Ihrem T-Shirt keine Angst. Die beste Art, sich einen Anzug zahlen zu können, besteht darin, zu arbeiten." Worauf der Angesprochene erwiderte: "Aber ich träume davon zu arbeiten, Monsieur Macron!" Diese Szene hat Macrons Image schwer geschadet. Und daran werden auch die TV-Bilder von der Schifffahrt auf der Seine nicht viel ändern. (Stefan Brändle aus Paris, 30.8.2016)