Wien/Venedig – Der Auftakt zum zehntägigen Festivaltreiben auf dem Lido von Venedig wird diesen Mittwoch gedämpft ausfallen. Italien ist immer noch damit beschäftigt, das verheerende Erdbeben von Amatrice von vergangener Woche zu verarbeiten. Festivaldirektor Alberto Barbera hat aus Respekt gegenüber den Opfern deshalb auch das traditionelle Eröffnungsdinner mitsamt Feier am Strand vor dem Hotel Excelsior abgesagt.

Ganz leise wird es auf der Lagune allerdings dennoch nicht zugehen. US-Star Ryan Gosling ist angekündigt, der seine weiblichen Fans schon zum Hyperventilieren bringt, wenn er sein Hemd hochkrempelt. In Damien Chazelles Musical-Opener La La Land wird er auf der Leinwand zudem seine Tanz- und Gesangsqualitäten demonstrieren, Gene Kelly und Fred Astaire sollen für die Rolle Pate gestanden haben.

Mit Spannung in Venedig erwartet: Denis Villeneuves Science-Fiction-Drama "Arrival".
Foto: Paramount

La La Land, Chazelles Nachfolgefilm des prämierten Jazzschuldramas Whiplash, ist einer der US-Herbsttitel, die mit Spannung erwartet werden. Ähnlich wie Tom Fords Thriller Nocturnal Animals, in dem Jake Gyllenhaal in der Kunstszene von L.A. für Unruhe sorgt, oder Denis Villeneuves Science-Fiction-Drama Arrival, in dem Außerirdische mit mehreren Raumschiffen auf der Erde landen und Kommunikationsexperten besonders gefragt sind.

Alle drei Filme laufen in Venedig und Toronto. Letzteres beherbergt das größte Festival im nordamerikanischen Raum, es hat sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Umschlagplatz des Kinos in der Herbstsaison entwickelt. Hier werden die Weichen bis zur Oscargala gestellt. Venedig, die alte Dame des Festivalzirkus, punktet dagegen mit Prestige, Tradition und italienischem Charme. Mit Spotlight und Gravity hatte man zuletzt jedoch auch in Sachen Academy Awards einen guten Riecher.

Alberto Barberas Kurs in Venedig ist besonders knifflig. Er soll die Aufmerksamkeit starverliebter Medien erregen, indem er US-Qualitätsfilme an den Lido holt, zugleich will Autorinnen und Autoren des Weltkinos und neuen Entdeckungen genügend Platz geboten sein. Erst die Vielfalt im richtigen Verhältnis von Erwartung und Überraschungscoups macht ein Festival lebendig.

In den letzten Jahren ist man im Wettbewerb schon ziemlich nahe an den Mainstream gerückt. Diese Linie scheint Barbera dieses Jahr ein wenig korrigieren zu wollen. Er hat wieder mutiger programmiert, der philippinische Langfilmemacher Lav Diaz, der eigenbrötlerische US-Maestro Terrence Malick oder eine Handke-Verfilmung von Wim Wenders stehen neben einer Horrorkomödie von Ana Lily Amirpour oder Pablo Larraíns Jackie mit Natalie Portman als Kennedys First Lady. Von El Cristo ciego des Chilenen Christopher Murray heißt es, er sei eine wahre Entdeckung.

Das Programm ist aber auch in den anderen Sektionen reichhaltig und zeigt, wie stark unterschiedliche Vertriebskanäle mittlerweile berücksichtigt werden. Mit The Young Pope wird Paolo Sorrentinos erste TV-Serie lanciert, in der Jude Law als Pontifex zu sehen ist. Antoine Fuqua hat sich an ein Remake von The Magnificent Seven gewagt, Mel Gibson an ein neues Regiewerk, das Zweiter-Weltkriegs-Drama Hacksaw Ridge.

Aus heimischer Produktion ist Ulrich Seidls neuer Dokumentarfilm Safari am Start, der deutschsprachige Großwildjäger auf die Pirsch begleitet. Ronny Trockers Spielfilmdebüt Die Einsiedler erzählt von einer Südtiroler Bergbauernfamilie.

Michael Palm hat sich in seiner Dokumentation Cinema Futures schließlich mit einer Frage befasst, die in der Augenblicklichkeit von Filmfestivals meist nur am Rande in den Blick gerät: Was geschieht in der Ära des digitalen Bildes eigentlich mit Film als Trägermaterial und den dazugehörigen Archiven? Ohne die Erinnerung des Alten ist schließlich auch die Gegenwart nicht zu vermessen. (Dominik Kamalzadeh, 30.8.2016)