Vom Lindwurm zum Wörthersee und zurück, der laufenden Flugbegleiterin Sabine Kozak und der Frage, was Katherine Switzer und der Boston Marathon von 1967 mit dem Selbstbewusstein von Kärntner Läuferinnen zu tun haben

Manche Dinge gehen nicht. Mit Gründen. Aber auch wenn die – ebendiese Gründe – nicht schlüssig und nachvollziehbar wären, wäre ich diese Runde nicht mit den von Sabine Kozak betreuten Damen gelaufen. Schließlich treffen sich die Frauen und Mädchen des Klagenfurter Lauf-Treffs "Club 261" nicht am Sonntagmorgen, um am Wörthersee ihre Runden zu dreschen und ihre Lauftechnikübungen zu machen, sondern – so wie meisten "zivilen" Laufgruppen – während der Woche und irgendwann zwischen Büroschluss und Hauptabendprogramm.

Foto: Thomas Rottenberg

Ganz abgesehen davon verstehe ich auch die "Sorry, but no guys"-Gründe, die Sabine Kozak mir da auf die Pflichtfrage präsentierte: "Frauen laufen ohne Männer eben anders. Zwangloser. Ohne Wettbewerb. Und selbstbewusster." Und genau darum, sagte die Kärntner Berg- und Mittelstreckenspezialistin, gehe es: "Um Empowerment. Da braucht man alles – nur keinen Druck." Sprach es, schaltete einen Gang höher – und kam nicht einmal ansatzweise ins Schnaufen, während ich schon japsend, keuchend und hechelnd versuchte, zumindest halbwegs mitzuhalten.

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Sabine Kozak ist 43 Jahre alt. Flugbegleiterin beim österreichischen Kurz- und Mittelstrecken-Carrier "Austrian Arrows". Patchwork-Mutter einer Familie mit vier Kindern, zu der aber neben einem Mann auch noch ein paar Pferde und sonstige Haustiere gehören. Im Sommer wohnt die Familie auf einer Alm in der Nähe Klagenfurts: Zu unserem Treffen brachte Kozak eine kleine Steige Eierschwammerln mit. "Die sind mir über den Weg gelaufen."

Doch wo andere sagen würden, dass das schon genug Job und Aufgabe für zwei oder mehr Leben sind, fängt für die Kärntnerin der Spaß erst an: Zwei, manchmal drei Stunden Sport gingen sich schon aus. Täglich. "Es ist einfach nur eine Frage der Einteilung", sagt sie. Nicht auch des Wollens? "Eh Klar: I want – I can – I will. Alles andere sind Ausreden."

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Einfach nur ein bisserl Joggen mag für andere ausreichen. Aber die 43-Jährige ist eben nicht "andere": In Kärnten ist sie weltberühmt. Wird auf der Strecke von jedem zweiten Mann und praktisch jeder Frau gegrüßt. Und im Rest Österreichs kennt man sie auch – als fixe Größe im Teilnehmerfeld etlicher Laufevents. Meist sind es Berg- oder Mittelstreckenläufe. "Je nachdem, wer noch aller da ist, bin ich meistens unter den vorderen fünf oder in den Top Ten." Es gehe ihr aber gar nicht um Staats-, Welt- oder Landesmeistertitel – sondern um die Freude an der Bewegung. Freilich: Wenn man gut ist und das Laufen ein bisserl strategisch und professionell anlegt, kann es auch ein bisserl mehr als ein Hobby werden. Vom Laufen leben? Kozak lacht: "In Österreich geht sich das nicht aus. Nicht als Mann – und schon gar nicht als Frau." Aber das "dafür-Leben", das geht. Sehr gut sogar.

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Sicherlich: Es gibt Läuferinnen und Läufer in Österreich, die aus der Kombination ihres Selbst-Aktivseins, mit Preis- und Sponsorengeldern, einem Gehalt des Bundesheeres, oder als Marketingleute oder Verkäufer im Sold von Sportartikelketten oder aber verständnisvollen Normalo-Arbeitgebern (und Kollegen) durchkommen.

Manche coachen auch Hobbyläufer und -läuferinnen, schreiben Trainingspläne oder gründen Fitness-Akademien: Je nach der Fähigkeit, sich selbst zu vermarkten kann das mittel- bis ganz gut gehen. Aber: Mit den Gruppen, die Sabine Kozak betreut, hat all das nix zu tun: da geht es nämlich nicht um Geld – sondern um Empowerment. "Ich hätte früher nie geglaubt, dass ich das kann."

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Aber irgendwann einmal kam Kozak dann nicht aus: "Es war im Fitnesscenter, in einer Aerobicstunde. Der Trainerin wurde schlecht und sie musste abbrechen. und irgendwie haben dann alle auf mich gezeigt: Ich solle die Stunde weiter machen." Nach einem kurzen Anflug von Panik, erinnert sich die Sportlerin, habe sie dann eben übernommen. "Und eigentlich ist das gar nicht so schwer: So wie im Flieger. Da hab ich ja auch meine Routine und weiß, was ich mache. Das Entscheidende dabei ist ja immer nur eines: Dass Du an das, was Du tust, glaubst – und dahinter stehst. Das spüren die Leute. Und wenn du authentisch bist, glauben sie dir auch."

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Freilich ist es zum Laufen mit Frauengruppen und zur Ego-Boost-Arbeit mit Mädchen und Frauen auch da noch ein ordentliches Stück. Und um dieses Wegstück zu überbrücken, sei ihr die Kleinheit Kärntens entgegen gekommen: man kennt sich und einander hier eben. Und irgendwann habe die Kärntern Lauf-Bloggerin und Frauen-Sport-Aktivistin Running Zuschi (im echten Leben: Edith Zuschmann) sie gefragt, ob sie nicht bei ihrem Projekt mitmachen wolle. Eben dem "Club 261".

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261 – das ist im Frauenlaufsport eine geradezu mystische Zahl: 261 war die Startnummer, mit der Kathrine Switzer 1967 beim Marathon in Boston an den Start ging. Die Langstrecke war damals Männersache. Weil – männliche – Ärzte und Experten behaupteten, dass Frauen lange Läufe nicht nur nicht schaffen könnten, sondern die permanenten Erschütterungen den weiblichen Körper auch massiv schädigen würden. Es gab sogar Mediziner, die erklärten, die Gebärmutter könne beim Lauf herausfallen.

So grotesk das heute klingt: 1967 widersprach Switzers Antreten dem Reglement. Und als der Rennleiter sah, dass da tatsächlich eine Frau auf der Strecke war, wollte er sie eigenhändig aus dem Rennen werfen – hatte aber die Rechnung ohne Switzers Freund gemacht: Der Footballspieler blockte den Funktionär mehr als erfolgreich ab – und ein zufällig die Szene festhaltender Fotograf schoss die Fotoserie seines Lebens.

Auch wenn andere Frauen vor Katherine Switzer die 42 Kilometer genfinished hatten, war sie die erste, die das offen und nicht bloß stillschweigend toleriert schafft: "261", sagt Sabine Kozak, "steht genau dafür: Jede Frau kann eine Katherine Switzer sein."

Foto: epa/ Chema Moya

261- Fearless ist heute eine Marke. Es gibt Treffs und Läufe unter diesem Signet – und Katherine Switzer lebt, referiert, schreibt und reist im Namen ihrer Botschaft durch die ganze Welt. In Österreich war Edith Zuschmann mit dem "Club 261 – laufend mutig" in Klagenfurt eine der ersten, die die Kraft hinter der Startnummer erkannte – und gemeinsam mit Sabine Kozak zu nutzen verstand. Anderswo in Österreich ist der Themenkomplex "Frauen, Laufen & Selbstbewusstsein" durch den "österreichischen Frauenlauf" gut und de facto marktbeherrschend abgedeckt: Die Botschaft und das Thema ist das gleiche – aber man kommt einander nicht in die Quere. 2005 bekam Switzer zwar den "Österreichischen Frauenlauf Award" – aber so richtig intensiv scheint die Kooperation zwischen den beiden Labels mit dem gleichen Ziel dann auch nicht zu sein.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch auch wenn das auf der großen Ebene der Laufevents vielleicht schade ist, ist es dort, wo es drauf ankommt, vollkommen egal: "Es geht darum, dass wir den Frauen und Mädchen zeigen, dass sie etwas können. Oft genug geht es um ein scheinbar total banales Statement: Dass sie etwas wert sind – und dass der Maßstab nicht der Blick irgendwelcher Männer, Freunde oder Väter ist, sondern ausschließlich das ist, was sie selbst wollen." Erklärt Kozak das, was eigentlich nicht erklärt werden müssen sollte. "Wir zeigen, dass sie etwas erreichen können. Dass es legitim ist, Ziele und Träume zu haben – und dass es sich lohnt, sich dafür einzusetzen."

Foto: Thomas Rottenberg

Und deshalb laufe man eben ohne Männer: "Es ist einfach so: Sobald Männer dabei sind, wird daraus ein Wettkampf. Zwischen den Männern – aber auch unter den Frauen. Das steckt nicht in den Genen, sondern in der Erziehung: Plötzlich geht es da dann auch ums Gefallen. Meist nicht einmal bewusst. Aber eben trotzdem. Und wenn wir Übungen machen – ganz besonders am Boden – ist das vielen Frauen dann unangenehm, wenn Männer dabei sind." Kozak lacht: "Schau nicht so beleidigt: Das haltet ihr schon aus."

Foto: Thomas Rottenberg

Dass Sabine Kozak von sich selbst sagt, extrem wettkampforientiert zu laufen, ändert daran nichts: "Ich kann eben umschalten" sagt sie – und geht dann, etwa zur Hälfte unserer Runde, doch vom Gas. Nicht nur meinetwegen – sondern, zeigt sie auf den Dunst, der sich über dem Wörthersee fast schon wie Herbstnebel hält – auch, weil es "heute wirklich wahnsinnig schwül ist." Und ein bisserl beneiden wir dann beide den Golden Retriever, der uns ein kurzes Stück der Strecke begleitet – und dann zur Abkühlung einfach ins Wasser springt.

Foto: Thomas Rottenberg

"Wir könnten noch um den See laufen", schlägt Kozak vor. Lachend. Sie weiß, dass ich einen Zug nach Wien erwischen muss – und führt mich zurück in die Stadt: Europapark, Lendkanal – und dann Downtown Klagenfurt.

Foto: Thomas Rottenberg

Es ist Sonntag, knapp 10 Uhr. In den Straßencafés sitzen die ersten Frühstücker, aber ansonsten ist die Stadt wie ausgestorben. Und ich dachte, dass sei hier nur am Abend so, dass mit Geschäftsschluss die Gehsteige hochgeklappt würden. "Willkommen in Klagenfurt", lacht meine Führerin – und hat dann schon auch eine Erklärung parat: "Das schöne an dieser Stadt ist ja, dass man sofort draussen ist. Du hast die Berge und den See, aber auch Italien und Kroatien gleich vor der Haustür. Würdest du da an einem Tag wie heute in der City bleiben? Eben."

Foto: Thomas Rottenberg

Gemütlich und plaudernd kommen wir zurück. Zum Lindwurm. Ob ich die Geschichte kenne? Ja, klar – irgendwann war ich ja auch einmal in der Schule: Herzog Karast, das Sumpfland in das sich keiner traute, das Monster, die Geschichte vom Stier an der Kette mit dem Widerhaken, und so weiter… In der Version, die Sabine Kozak kennt, kommen auch noch geopferte Jungfrauen zur Besänftigung der Bestie vor. Die fehlten in meinem Kindersagenbuch und kommen auch in den meisten heutigen Versionen – etwa der auf der Seite der Stadt – nicht vor.

Foto: Thomas Rottenberg

Als wir uns verabschieden kommt eine der ersten Touristengruppen des Tages auf den Platz. Die Führerin erzählt. Zuerst die Sage. Die jungfrauenlose Version. So wirklich beeindruckt wirkt niemand. "Und wie war es wirklich?" fragt einer der Touristen. "Das weiß keiner", sagt die Fremdenführerin – und will weiter. Schade. Denn der Hintergrund der Sage – ein 1353 gefundener, 75 Zentimeter langer Schädelknochen, den man bis ins 19. Jahrhundert für den Kopf eines Drachen hielt und der in Wirklichkeit einem Wollhornnashorn gehörte – ist spannend. Für mich zumindest.

Darum behellige ich Sie damit. Auch wenn dieser kleine Exkurs natürlich genau gar nix Sabine Kozak, dem Club 261 und einem feinen Lauf in Klagenfurt zu tun hat. (Thomas Rottenberg, 31.8.2016)

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