Syrische Familie in Gmünd: Wo schon viele Einheimische keine Perspektive sahen, sollen nun Flüchtlinge reüssieren.

Foto: newald

Flüchtling Tarek N.: Hummus und Hammelhals für den Waldviertler Gaumen.

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Tarek wischt eifrig über das Display seines Smartphones, scrollt durch Bilder bunter Köstlichkeiten. Groß aufgetischt hat der 32-Jährige unlängst beim "Begegnungsfest" im Nachbarort. 600 Gäste delektierten sich an seinen Spezialitäten – vom Humus bis zum Hammelhals.

Seit über einem Jahr versucht Tarek N. nun schon, die Waldviertler Küche mit Exotik zu bereichern. Mehr als ein paar Einzelaufträge hat der Koch aus Damaskus bisher nicht ergattert, Top-Verdienst waren 100 Euro für ein Buffet für ebenso viele Menschen, mitunter arbeitet er gratis. Zum Leben reicht das nicht annähernd, dennoch will Tarek in Gmünd, hoch oben an der tschechischen Grenze, aushalten. "Was soll ich in der Großstadt?", sagt er: "Dort bin ich erst recht unter arabischen Leuten und lerne kein Deutsch. Außerdem haben sie in der Stadt überhaupt keine Zeit zum Reden."

Tarek N. zählt zu einer Minderheit. Das Gros der Flüchtlinge in Österreich übersiedelt, sobald der positive Asylbescheid vorliegt, in die Metropolen – und treibt dort die Sozialausgaben in die Höhe. Knapp 80 Prozent der beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkten Asyl- und Schutzberechtigten leben in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern, von den 17.478 Mindestsicherungsbeziehern in dieser Gruppe wohnen allein 12.770 in Wien. Das schreckt die rot dominierte Stadtregierung auf – und damit auch die mit ihr verbandelte Bundes-SPÖ.

Widersinninge Landflucht

Widersinnig sei die Landflucht, sagt Sozialminister Alois Stöger und verweist auf bessere Jobchancen im Westen, etwa in den Tourismuszonen: Während die Arbeitslosigkeit in Wien fast 15 Prozent beträgt, lag sie etwa in Imst oder Reutte im Juli unter vier Prozent – in den beiden Tiroler Bezirken sind aber jeweils keine zehn Flüchtlinge beim AMS gemeldet. Wie in Deutschland (siehe unten) will Stöger deshalb Asyl- und Schutzberechtigten ohne Job vorschreiben, in welchen Bezirken sie zu wohnen haben. Am besten, so der Minister, sollten die Menschen dort bleiben, wo sie bereits während ihres Asylverfahrens waren.

Was das Konzept für das Beispiel Gmünd bedeuten würde, kann Gerhard Ableidinger abschätzen. Der 37.000 Einwohner zählende Bezirk habe weit mehr Asylwerber untergebracht als die Nachbarn Zwettl und Waidhofen, sagt der örtliche AMS-Chef, zumal relativ viel Wohnraum verfügbar war. Der Grund dafür ist allerdings unerfreulich: Schon lange vor dem ersten Flüchtling haben viele Einheimische das Weite gesucht.

Der belebte Hauptplatz mit den herausgeputzten Fassaden kaschiert, dass Gmünd über die Jahrzehnte geschrumpft ist, 72.000 Besuchernächtigungen im Jahr wiegen den Niedergang der Textil- und Glasindustrie nicht auf. Abgesehen von vier afghanischen Lehrlingen in der Werkstätte der "Waldviertler"-Schuhe in Schrems sei – "wenn überhaupt" – bisher nur "eine Handvoll" der 123 beim AMS_registrierten Flüchtlinge in Jobs untergekommen, sagt Ableidinger; und auch längerfristig, nach allen Kursen und Kompetenzchecks, "werden wir keine Massen unterbringen".

Frustrierende Besuche beim AMS

Auch Mohammed M. hat vom letzten AMS-Besuch eine Absage mitgebracht – und jede Menge Frust. "Ich bin ein Mann, ich muss etwas tun, statt immer nur Geld von Österreich zu nehmen", sagt der 28-Jährige, der mitsamt Frau und Sohn von der Mindestsicherung lebt: "Wenn es so bleibt, gehen wir weg, nach Wien."

Eigentlich hat sich die Familie aus Aleppo in Gmünd gut eingelebt. Die drei leben mit ihrem spärlichen Hab und Gut auf hellen 60 Quadratmetern, einer von der Diakonie angebotenen Wohnung. Viele alte Leute gebe es halt in der Stadt, und dass sich die meisten Feste um Alkohol und Schweinefleisch drehten, mache Mitfeiern zwar nicht leicht, sagt Mohammed M., doch freundlich seien die Einheimischen alle. Auch Ehefrau Fatima werde trotz Kopftuchs – so etwas fällt in Gmünd noch auf – nie blöd angeredet.

Dass er mit rudimentärem Deutsch keinen Job findet, würde der Familienvater verkraften – wenn nicht auch noch die Suche nach einem Sprachkurs vergeblich wäre. Zuletzt habe ihn das AMS zu einem Termin geschickt, wo 45 Menschen um 16 Plätze gerittert hätten. Als der erfolglose Bewerber wieder beim AMS vorsprach, habe die Auskunft gelautet: Warten bis Dezember!

Mohammed M. ist beileibe nicht der einzige Flüchtling in Gmünd, der von monatelangen Wartezeiten berichtet – und AMS-Chef Ableidinger widerspricht nicht wirklich. Es sei schwierig, den Bedarf für die verschiedenen Leistungsstufen abzuschätzen, sagt er, man arbeite aber mit den Kursanbietern an der Abstimmung.

Rezept gegen Parallelgesellschaft

Wird da eine Wohnsitzpflicht für Flüchtlinge am Land nicht zum Handicap? "Einen Mangel an Kursen sollte es natürlich nicht geben", sagt Migrationsforscher Heinz Faßmann. Doch ein flächendeckendes Angebot vorausgesetzt, hält der Berater von Integrationsminister Sebastian Kurz die Wohnsitzauflage für eine probate "Notmaßnahme" für ein bis zwei Jahre. Faßmann geht davon aus, dass Flüchtlinge kurzfristig so oder so kaum eine Stelle fänden; eine bessere Verteilung könne zumindest verhindern, dass sich Menschen in der Stadt in den viel zitierten Parallelgesellschaften sammelten: "Am Land ist der Kontakt mit der Mehrheitsbevölkerung leichter."

Das Argument habe etwas für sich, räumt Christoph Riedl ein, hält die Wohnsitzpflicht aber dennoch für falsch. Stattdessen brauche es Programme, die Flüchtlingen überall im Land die gleichen Chancen für einen Start in die Selbstständigkeit böten, sagt der Koordinator der Flüchtlingshilfe der Diakonie, die ihre Unterstützungsprojekte gerade auf ländliche Regionen wie das Waldviertel ausdehnt. Das Angebot reicht vom Beistand im Behördenumgang bis hin zu "Startwohnungen": Angemietete Immobilien werden an Flüchtlinge weitervermittelt, die Kaution – am freien Markt oft unüberwindbare Hürde – darf peu à peu abgestottert werden.

Treffen in der Industrieruine

Auch am Land sei Integration kein Selbstläufer, warnt Ingrid Müllner. Wenn jeder jeden kenne, könne das schon helfen, um die wie in der Großstadt vorhandenen Ängste abzubauen, sagt die Gmündnerin: "Doch von allein geht gar nichts."

Gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnen versucht Müllner nach Kräften nachzuhelfen. In einer Industrieruine am Stadtrand, wo einst bis zu 400 Menschen Möbel fertigten, haben die Frauen ein Begegnungscafé eingerichtet, das nach einem listigen Prinzip funktioniert: Die eingesessenen Bürger können zweimal im Monat Möbel, Kleidung und andere Spenden abgeben, die Flüchtlinge selbige abholen – zur gleichen Zeit, damit sich die Menschen auch wirklich über den Weg laufen.

Von den Flüchtlingen hätten sich am Anfang nur Männer hergetraut, während viele Einheimischen ihre Gaben ein paar Meter vorm Eingang abgestellt hätten, um flugs kehrt zu machen, erzählt Silvia Thor, eine andere Aktivistin. Doch mittlerweile gab es erfreuliche Annäherungen zu beobachten, wie etwa bei einem vom Café veranstalteten Tischtennisturnier. "Gewonnen hat eine Frau aus Gmünd", sagt Thor, "und kein Flüchtling hatte ein Problem damit, ihr die Hand zu geben."

Illusion geben sich die beiden aber keiner hin: Abseits derartiger Events lebten Alteingesessene und Neuankömmlinge auch in Gmünd weitgehend aneinander vorbei, sagen sie – und treffen damit den Tenor, der – von der Fleischerei bis zum Gasthaus – quer durch die Stadt zu vernehmen ist. "Ich hab nichts dagegen, wenn ein Flüchtling bei mir hereinspaziert", sagt ein Wirt im Zentrum, "nur wollen die offenbar nichts mit uns zu tun haben."

Mehr Gesellschaft in der Stadt

Jwan berichtet von ähnlichen Erfahrungen, allerdings mit vertauschten Rollen. Österreichische Freunde hat der 22-Jährige in Gmünd nicht gefunden, Fußball spielt er nur mit anderen Flüchtlingen. "Für alte Leute und Familien ist es hier sehr relaxed", sagt er, "aber ich habe nichts zu tun". Arbeit ist keine in Sicht, auf den Deutschkurs warte er seit Monaten, Zerstreuungen sind rar. Die Eintrittspreise für das auf den Tourismus getrimmte Solefelsenbad seien ebenso geschmalzen wie jene für das Fitnesscenter, sagt Jwan – "und ohne Auto kommst du nirgendwo hin".

Wie all die anderen will der junge Mann nun nach Wien, Fernziel ist eine Rückkehr an die Uni. Weil er neben Arabisch noch Türkisch und Kurdisch spreche, rechnet sich Jwan in der Stadt, hohe Arbeitslosenrate hin oder her, persönlich bessere Chancen aus – auf jeden Fall aber mehr Gesellschaft. In Wien gebe es viele andere Zuwanderer, um Anschluss zu finden, hofft er: "Hier in Gmünd sagen die Leute zu dir Hallo, aber sonst nicht viel mehr". (Gerald John, 29.8.2016)