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Berlin/London – "Ich bin nicht der Meinung, dass Frau Merkel unverantwortlich gehandelt hat." Das hat Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Samstag vor seinem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahe Berlin klargestellt. Ein "Störfeuer" seitens seines SP-Parteikollegen und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil wollte Kern aber nicht sehen.

Inhaltlich seien die Aussagen Doskozils sehr "realitätsnah" gewesen. Auch in dem Nachbarland Österreichs habe sich die Situation seit dem Vorjahr verändert. Die aktuellen Fragen seien nun auch in Deutschland, wie man die Flüchtlingszahlen begrenzen und die Integration vorantreiben kann, erklärte Kern auf dem Weg nach Berlin. Auch dort seien bereits Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung vorgenommen worden.

Harsche Kritik

Knapp vor dem Treffen mit Merkel hatte Doskozil mit harscher Kritik an der deutschen Kanzlerin auf sich aufmerksam gemacht. "Die 'Wir schaffen das'-Politik ist unverantwortlich", sagte Doskozil zur "Kronen Zeitung" (Freitagausgabe). Merkel hatte diesen Satz kurz vor der Grenzöffnung am 31. August 2015 gesagt, um ihren Landsleuten Mut zur Aufnahme von Flüchtlingen zu machen. Für Doskozil hat diese Aussage – und ihre mehrfache Wiederholung seitdem – jedoch dafür gesorgt, dass ein neuer "Anziehungsfaktor für Fluchtbewegungen nach Europa entsteht", sagte er der "Kronen Zeitung".

Im Interview mit der deutschen "Bild"-Zeitung erklärte Doskozil zudem: "Wir werden es nicht hinnehmen, dass Österreich durch diese Ermunterung in eine Position kommt, dass dann wieder vermehrt Flüchtlinge von Italien über Österreich nach Deutschland wollen und gleichzeitig Deutschland die Grenzen schließt." Ein Durchwinken sei nicht mehr möglich. Das Boulevardblatt titelte: "Ösis stänkern gegen Merkel".

Politische Veränderungen

Kern wollte regierungsinterne Diskussionen und Querschüsse nicht überbewerten, räumte aber ein: "Ich beobachte auch, was da auf ÖVP-Seite passiert. Wenn es uns nicht gelingt, politische Veränderungen vorzunehmen, haben wir ein größeres Problem." Wichtig sei: "Wie sieht es mit der Beschäftigung aus, mit Wirtschaftsthemen, Bildung?" Ziel müsse es natürlich sein, die Flüchtlingszahlen durch den Schutz der EU-Außengrenzen zu begrenzen. Dabei dürften aber humanitäre Aspekte nicht außer Acht gelassen werden.

"Wir können nicht eine Festung Europa bauen und sonst bezüglich der Probleme in den Herkunftsländern wegschauen" , sagte der Kanzler und nannte Beispiele wie die Agrarpolitik oder die "Überfischung der Ozeane". Es müssten etwa Hilfsprogramme für Afrika vorangetrieben werden. Kern trat auch für Aufnahmezentren in Nordafrika ein, immer jedoch unter Einhaltung der Menschenrechte. "Das ist auch eine sicherheitspolitische Herausforderung."

Allerdings müssten auch die Auswirkungen des Flüchtlingszustroms auf den Arbeitsmarkt beachtet werden, so der Bundeskanzler. Dieser werde auch EU-intern durch Entsendungen aus Osteuropa belastet. Daher könne es auch in Österreich zu einer Diskussion über die Personenfreizügigkeit kommen.

Brexit

Diese spielte auch beim EU-Austrittsvotum der Briten eine Rolle. Der Brexit stand auch am Samstag bei einem gemeinsamen Mittagessen auf Schloss Meseberg nahe Berlin auf dem Gesprächsprogramm, an dem außer Merkel und Kern noch die Amtskollegen aus Bulgarien, Bojko Borissow, Slowenien, Miro Cerar, und Kroatien, Tihomir Oreskovic, teilnahmen. Der slowakische Premier Robert Fico war entgegen anderslautender Berichte im Vorfeld nicht bei dieser Runde dabei.

Merkel wollte im Vorfeld des informellen EU-Gipfels am 16. September in Bratislava mit Staats- und Regierungschefs aus allen EU-Ländern zu Beratungen zusammenkommen. Deutschlands Kanzlerin vertritt die Meinung, dass sich die EU wegen des angekündigten Austritts Großbritanniens grundlegend neu aufstellen muss. Die Union werde eine "neue Balance" finden müssen, weil ein Land mit immerhin 15 Prozent der EU-Wirtschaftskraft austrete, so die Politikerin der konservativen CDU.

Kern warnte in diesem Zusammenhang davor, mit dem Gedanken an einen möglichen EU-Austritt Österreichs auch nur "zu spielen": "Das hätte für Österreich einen enormen wirtschaftlichen Schaden. Wir haben Hunderttausende Jobs, die am Export hängen." Nach dem Essen mit den Regierungschefs wollte Kern im Lauf des Samstags auch noch mit Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zusammenkommen. (APA, 27.8.2016)